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Aus: Ausgabe vom 31.01.2023, Seite 15 / Betrieb & Gewerkschaft
Gesundheitswesen

Boom und Krise

Die Zahl der Beschäftigten im Gesundheitswesen nahm 2022 zu. Pflegepersonal fehlt noch immer
Von Gudrun Giese
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Die Anwerbung ausländischer Fachkräfte könne die momentanen Zustände stützen, warnt der »Verein Demokratischer Ärztinnen und Ärzte«. Es gäbe dann keinen Grund, das Fallpauschalensystem abzuschaffen

Während es an Pflegekräften in Krankenhäusern und Altenheimen mangelt, hatten andere Bereiche des Gesundheitswesens trotz Coronapandemie keine Probleme, Stellen zu besetzen: Rund sechs Millionen Menschen waren Ende 2021 im deutschen Gesundheitswesen beschäftigt, teilte das Statistische Bundesamt vergangene Woche mit. Das war gegenüber dem Vorjahr ein Plus von 169.000 oder 2,9 Prozent. 24.000 davon waren Vollzeitbeschäftigte. Die übrigen 145.000 Personen gingen einer Teilzeitarbeit oder einer »geringfügigen Beschäftigung« nach. Der Zuwachs entstand fast ausschließlich in Bereichen, die während der Coronapandemie benötigt wurden, etwa Teststellen und Impfzentren: »Das zusätzliche Personal zur Pandemiebekämpfung arbeitete in den Einrichtungen Gesundheitsschutz, Apotheken, Arztpraxen und in den sonstigen Einrichtungen des Gesundheitswesens.« Um 8.000 Beschäftigte oder 15 Prozent erhöhte sich allein die Personalzahl im Gesundheitsschutz, wozu auch die Gesundheitsämter und von der öffentlichen Hand betriebene Impfzentren zählten. Die Zahl der Pflegefachkräfte in Krankenhäusern, ambulanten und (teil-)stationären Pflegeeinrichtungen habe sich hingegen 2021 kaum verändert, hieß es.

So bleibt die Lage in Krankenhäusern und Altenpflegeeinrichtungen angespannt: Schon jetzt würden nach Angaben der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi 110.000 zusätzliche Pflegefachkräfte benötigt, um die bestehenden Lücken zu füllen und die neuen Personalbemessungsrichtlinien zu erfüllen. Bis 2030 könnte der Mehrbedarf sogar 300.000 Stellen betragen, berichtet die Initiative »Pflegenot Deutschland« auf ihrer Webseite. »Die Personalsituation folgt linear den demographischen Veränderungen, die unsere Gesellschaft erfassen und wird auf absehbare Zeit nicht abebben«, heißt es dort. Besonders dramatisch sei die Situation in der ambulanten und stationären Altenpflege. Pflegedienste wie auch Altenheime könnten teilweise keine neuen Patienten mehr aufnehmen oder müssten sogar bestehende Verträge auflösen, weil nicht genügend Pflegepersonal im Einsatz sei. Dabei leisteten rund 1,7 Millionen Beschäftigte in der Pflege häufig Mehrarbeit. Das führe zu dauerhaft hoher Belastung, Zeitdruck und Überstunden. »Die Qualität der Pflege leidet darunter ebenso wie die Gesundheit der Pflegenden«, mahnt die Initiative, die beim Verein Deutsches Pflegehilfswerk angesiedelt ist.

Um den Fachkräftemangel im Gesundheitsbereich nachhaltig zu überwinden, sei jedoch die gezielte Abwerbung von Gesundheitsfachkräften aus dem Ausland der falsche Weg, erklärte vergangene Woche der »Verein Demokratischer Ärztinnen und Ärzte« (VDÄÄ). Statt die Pflege- und Gesundheitsversorgung konsequent umzugestalten, setze Deutschland seit etwa zehn Jahren auch im Gesundheitssystem »auf private und staatliche Abwerbung aus Ländern, in denen die Arbeitsbedingungen für Pflegefachkräfte, Ärztinnen und Ärzte noch miserabler sind, so dass eine Arbeitsmigration attraktiv erscheint«. Damit verschärfe sich die global ungleiche Verteilung der Gesundheitsfachkräfte weiter. Die »Rekrutierung von ausländischen Fachkräften kann die momentanen Zustände sogar noch stützen«, weil es dann keinen Grund gäbe, das Fallpauschalensystem abzuschaffen. Gerade das habe aber zu dem marktvermittelten Wettbewerb zwischen den Kliniken und in der Folge zu den miesen Arbeitsbedingungen in der Pflege geführt, die seit Jahren viele Beschäftigte aus dem Job treiben würden. »Dabei zeigen Umfragen, dass viele bereit wären, wieder zurückzukehren, wenn sich die Bedingungen verbesserten.« Das könne aber nur erreicht werden, wenn Personalbemessung und Finanzierung auskömmlich und bedarfsgerecht gestaltet würden.

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