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Aus: Ausgabe vom 31.01.2023, Seite 11 / Feuilleton
Filmfestival

Dazu ein paar Nordlichter

Heikle Themen, Formen von Verantwortung: Das samische Filmfestival Skábmagovat
Von Gabriel Kuhn, Inari/Anár/Aanaar
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Film ab: Das Skábmagovat-Festival

Das samische Filmfestival Skábmagovat ist eines der vielen Events, die 2023 nach zweijähriger Covidpause wieder stattfinden können. Rechtzeitig zur 25. Ausgabe des »nördlichsten indigenen Filmfestivals der Welt« hob auch die finnische Regierung die letzten Coronarestriktionen auf. Die hatten in Sápmi, wie die Sámi ihr traditionelles Siedlungsgebiet nennen, für besondere Probleme gesorgt. Die zeitweise zwischen Finnland, Norwegen und Schweden geschlossenen Grenzen hatten auf die Rentierhaltung, verwandtschaftliche Kontakte und den gemeinsamen samischen Schulgang große Auswirkungen.

Die 25. Ausgabe von Skábmagovat (was in etwa »Bilder der Polarnacht« bedeutet) ging vom 26. bis 29. Januar vom Stapel. Beheimatet ist das Festival in der »samischen Hauptstadt« Finnlands, Inari beziehungsweise Anár oder Aanaar, wie die 500-Seelen-Ortschaft auf nordsamisch oder inarisamisch heißt (die gleichnamige »Gemeinde« hat immerhin 7.000 Einwohner, die sich jedoch auf einer Fläche verteilen, die größer ist als diejenige Thüringens). Skábmagovat ist nicht nur ein wichtiger kultureller Treffpunkt für die samische Gesellschaft, auch indigene Filmemacher aus anderen Kontinenten sind regelmäßig zu Gast. In diesem Jahr vor Ort: Nina Nawalowalo (Neuseeland/Fidschi) und Darlene Naponse (Kanada).

Offiziell eingeweiht wurde das Festival in dem jedes Jahr neu angelegten Schnee- und Eiskino im Freien. Rentierfelle dienen als Sitzunterlage, es gibt Tee zum Warmhalten, und wenn man Glück hat, sieht man Nordlichter. Der Festivaldirektor Aleksi Ahlakorpi und sein Team begrüßten das Publikum dreisprachig (auf nordsamisch, finnisch und englisch) und machten Witze über die hohen Temperaturen (minus sechs Grad). Auch die anderen Orte, an denen am Festivalwochenende Filme gezeigt wurden, können sich sehen lassen: Es handelt sich um das samische Museum Siida und das samische Kulturzentrum Sajos, in dem auch das samische Parlament Finnlands seine Sitzungen abhält.

Ernst sind die in den rund 50 während des Wochenendes gezeigten Kurz- und Langfilmen behandelten Themen. Sie fokussieren auf die Kolonisierung der Sámi und anderer indigener Gesellschaften. Darunter eindringliche Schilderungen der Opioidkrise für die Nation der Blackfoot (»Kimmapiyiipitssini: The Meaning of Empathy«, Die Bedeutung von Empathie, von Elle-Máijá Tailfeathers) und der ehemaligen Internatsschulen für Maori und Migranten von den pazifischen Inseln in Neuseeland (»A Boy Called Piano: The Story of Fa’amoana ›John‹ Luafutu« von Nina Nawalowalo).

Eines besonders heiklen Themas nahm sich die samische Regisseurin Liselotte Wajstedt an. In dem berührenden Dokumentarfilm »Tystnaden i Sápmi: The Silence in Sápmi« (Das Schweigen in Sápmi) geht es um die Vertuschung sexualisierter Gewalt in Sápmi. Der Dokumentarfilm »Sámi AssimiNation« von der renommierten samischen Regisseurin Suvi West wurde mit stehenden Ovationen bedacht. West verarbeitete Material, das sie nicht in ihren 2021 erschienenen und unter anderem beim Berliner Human Rights Film Festival gezeigten Dokumentarfilm »Eatnameamet: Our Silent Struggle« (Unser stiller Kampf) mitaufnehmen konnte. Neben der Darstellung kolonialer Geschichte und Gegenwart keimt in den Filmen viel Hoffnung auf. Immer wieder rücken Selbstorganisation und Widerstand ins Zentrum, etwa in Shannon Krings »End of the Line: The Women of Standing Rock«, in dem über die Proteste gegen die Dakota Access Pipeline im Jahr 2016 berichtet wird.

Dokumentar- und Spielfilme hielten sich beim Festival in etwa die Waage. Das Programm reichte von experimentellen dreiminütigen Filmen samischer Filmstudenten zu großen Produktionen wie »The Drover’s Wife: The Legend of Molly Johnson«, dem ersten Spielfilm einer Aborigine-Regisseurin aus Australien: Leah Purcell. Die Geschichte basiert lose auf der gleichnamigen Kurzgeschichte des berühmten australischen Autors Henry Lawson (1867–1922) aus dem Jahr 1892, in der sich eine Frau alleine mit ihren vier Kindern im australischen Outback behauptet. »Night Raiders« ist ein kanadisch-neuseeländischer Spielfilm, in dem in einer dystopischen Zukunft eine indigene Widerstandsbewegung gegen Robocops, Drohnen und ein böses Reich namens Amazon kämpft. Ein gutes Werk.

Ein Großteil der beim Festival gezeigten Filme wurde von Frauen gedreht, was, so der künstlerische Leiter des Festivals Jorma Lehtola, »für den samischen Film seit langem charakteristisch ist«. Die Regisseurin Suvi West bestätigte das im Gespräch mit jW. In Sápmi hätten Frauen immer die Familie zusammengehalten, dieses Verantwortungsgefühl eigne sich hervorragend dafür, auch am Filmset den Überblick zu bewahren.

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