Ein neues altes Äußeres
Von Gisela Sonnenburg
Es war in einer Nacht im Feuersturm: Im April 1944 zerstörten zwei Bomben der Westalliierten – vermutlich der Royal Air Force – gezielt ein weltbekanntes Museum: die Glyptothek in München. Die von den Flugzeugen abgeworfenen Bomben richteten enorme Schäden an. Heute würde man wohl von Kriegsverbrechen sprechen. Für Jahrzehnte hinterließ es eine Lücke im Bildungskatalog der Stadt. Erst 1972 wurde das Haus von 1830, das als klassizistisches Meisterwerk architektonischer Kunst gilt, wiedereröffnet, pünktlich zu den Olympischen Spielen. Glück im Unglück: Viele der Schätze aus dem Innern waren im Krieg evakuiert worden. Sie überstanden in Kellern und in Klöstern den Krieg.
Aber die Fassade des Museums für altgriechische und altrömische Skulpturen litt noch lange: unter Falschrenovierungen, Verlusten, Verschnittschäden und Ungenauigkeiten. In den vergangenen drei Jahren wurde das Äußere der Glyptothek nun restauriert, und seit letztem Jahr erstrahlt die Fassade wie neu oder besser wie alt: nach einer sorgsamen, von Fachleuten hochgelobten Sanierung. Das milde Lächeln der Athene, die zentral im Fries oberhalb des Haupteingangs steht, mag jetzt zu Recht mit Stolz gemischt sein.
Mit rund 17 Millionen Euro blieb man zudem voll im Rahmen der geplanten Sanierungskosten – heutzutage schon fast ein kleines Wunder bei öffentlichen Bauaufträgen. Im November 2022 erhielt die Glyptothek für die Sanierung den Bernhard-Remmers-Preis, und zwar in der Kategorie »National«. Für Museumsdirektor Florian Knauß »eine weitere Anerkennung aus berufenem Munde. Es war ja eine Fachjury, die sich mit dem Thema beschäftigte«. Die Glyptothek sei »jetzt wieder ein Paradebeispiel für ein klassizistisches Gebäude«, so Knauß.
Es leuchtet wieder
Es ist keine Einbildung, dass die Vorderfront des Hauses jetzt wieder in verschiedenen Farbnuancen von apricot bis rosé sanft zu leuchten scheint. Eine in den 1930er Jahren von den Nazis aufgetragene monochrome Tünche ist entfernt worden. Dabei sollte eigentlich von Beginn an der benutzte Naturstein in Szene gesetzt werden. Untersberger Marmor heißt er, aber faktisch ist es kein Marmor, sondern ein Kalkstein, abgebaut in der Nähe von Salzburg in Österreich und bis heute sehr hochwertig.
Für den neuen Glanz sorgt ein historischer Geheimtipp: »Die Oberfläche wurde mit einem Öl behandelt«, sagt der an der Sanierung maßgeblich mit seiner Firma beteiligte Restaurator und Archäologe Michael Pfanner. Er ließ die Fassade so einölen, wie man es zur Einweihung des Museums im 19. Jahrhundert auch gemacht hatte. Das Licht wird durch den Ölfilm reflektiert, und der Eindruck entsteht, das Gebäude würde erstrahlen. Zusätzlich wurde übrigens auch noch eine – unsichtbare – Graffitischutzschicht aufgetragen, denn der Vandalismus macht auch vor der schönsten Baukunst nicht automatisch Halt.
Das Schönheitsempfinden des frühen 19. Jahrhunderts richtete sich nach Harmonie und Eleganz, nach Symmetrie und Ausgewogenheit, aber auch nach dem Faktor der Repräsentanz. Das neue alte Äußere der Glyptothek zeigt jetzt wieder musterhaft, worin die Essenz des Klassizismus besteht: aus der Vereinigung von Strenge und Verspieltheit, also von strengen Linien und verspielten Ornamenten. Die Wiederentdeckung der Antike als Inspiration ist dabei unübersehbar.
Damals entstand auch der Name, und zwar als Wortschöpfung, die vom Bauherrn Ludwig I. von Bayern selbst stammt: »Glyptothek« ist vom griechischen »Meißeln« und »Ablegen« abgeleitet. Gemeint war die Sammlung skulpturaler Werke. »Ursprünglich sollte in der Glyptothek die Geschichte der Bildhauerei von ihren Anfängen im Zweistromland und im alten Ägypten bis in die Gegenwart Ludwigs anschaulich gezeigt und dokumentiert werden«, sagt Knauß. Im 20. Jahrhundert aber gab man dieses Konzept auf und trennte sich erst von den jüngeren, dann auch von den altägyptischen Exponaten und gab sie an andere Münchner Museen.
Aber der Wille zur Bildung blieb. Knauß, der klassischer Archäologe und seit 2011 Direktor des Hauses ist, sagt: »Die Glyptothek war nie ein Privatvergnügen des damaligen bayerischen Kronprinzen, sondern es gab von Anfang an eine didaktische Absicht: Die Untertanen und auch die nachwachsenden Künstler sollten sich dort schulen.«
Königliche Liebe
Den Anstoß zum Bau der Glyptothek gab allerdings kein Schulmeister. Alles begann mit der Italienreise Ludwigs als 18jähriger. Ohnehin sprach er mehrere Sprachen, von Französisch über Spanisch und Italienisch bis Russisch, er war belesen und, wie Knauß es sagt, »ein durchaus überdurchschnittlich gebildeter Aristokrat«. In die Antike verliebte sich Ludwig regelrecht in Italien, und sein Entschluss, antike Kunst zu sammeln und für sie auch ein entsprechendes Museum erbauen zu lassen, rührt aus dieser Zeit. Der Plan wurde dann zügig umgesetzt, noch bevor Ludwig König wurde. Und schon fünf Jahre nach Amtsantritt konnte er das Museum vorzeigen.
Ab 1816 wurde daran gebaut. 14 Jahre lang. Der Architekt der Glyptothek, Leo von Klenze, der später auch für die Neue Eremitage in Sankt Petersburg engagiert wurde, zählt neben Karl Friedrich Schinkel, der vor allem in Berlin wirkte, zu den bedeutendsten Baumeistern im echten klassizistischen Stil. Das Alte Museum in Berlin, Schinkels Werk, und die Glyptothek in München wurden denn auch beide im Jahr 1830 eröffnet: als erste öffentliche Museen in Deutschland.
In Italien war derweil die Antike nicht neu erfunden, aber neu gefunden worden: indem man Werke in der Renaissance auf den Baustellen für die entstehenden Palazzi ausgrub. Die steinernen altrömischen Werke, oftmals Kopien altgriechischer Vorgängerstücke, hatten zwar ihren Farbauftrag im Lauf der Jahrhunderte eingebüßt und waren zudem oft stark beschädigt. Aber sie faszinierten die Zeitgenossen mit ihren idealisierten, dennoch natürlich wirkenden Formen und mit ihrem hell schimmernden, manchmal von farbigen Adern durchzogenen Marmor.
Johann Joachim Winckelmann, der geistige Wegbereiter des Klassizismus, machte aus der Schönheit der Statuen eine ganze Philosophie der »edlen Einfalt und stillen Größe«, allerdings ohne zu wissen, dass die Statuen ursprünglich knallbunt bemalt waren. Die Makellosigkeit der menschlichen und göttlichen Abbilder, die Phantastik der Darstellung mythologischer Gestalten und Vorgänge und nicht zuletzt die Sinnlichkeit in der antiken Bildhauerkunst verlangte in den Augen Ludwigs Gisela SonnenburGnach einem passenden Rahmen: eben der Glyptothek.

Dass an dem Gebäude auch gespart wurde, ist eine Idee des Architekten. Denn der Untersberger Marmor war auch im 19. Jahrhundert nicht nur schön, sondern auch teuer. Von Klenze fiel während der Bauzeit ein, dass es eigentlich genügen könnte, wenn nur die Fassade aus diesem Stein gemacht ist und darunter aus Ziegeln gebaut wird. Ludwig war einverstanden. So kommt es, dass die nach Süden ausgerichtete Vorderfront zwar ganz aus Kalkstein ist, die drei anderen Außenwände aber nur damit verkleidet sind. Von außen ist dieser Unterschied nicht zu sehen.
Mit Johann Martin Wagner hatte Ludwig I. einen Kunsthändler vor Ort in Rom, der für ihn einkaufte. Auch die Künstler Bertel Thorvaldsen und Christian Daniel Rauch waren zeitweise hilfreich bei der Auswahl. Zügig füllten sich die Hallen der Glyptothek. Die berühmtesten Stücke zeigen den guten Geschmack von Ludwig I. und seinen Helfershelfern: vom sinnlich schlafenden »Barberinischen Faun« über den hintergründig schalkhaften »Knaben mit der Gans« und die madonnenhafte »Eirene mit dem Plutusknaben« bis hin zur ausgemergelten »Trunkenen Alten«.
Durchtriebene Satyrn und laszive Nymphen, sterbende Amazonen und beim Sterben lächelnde Krieger, souveräne Kaiser und rechtlose Sklaven, machtgierige Senatoren samt Gattinnen, lüsterne Hetären, illustre Gottheiten und rätselhafte Chimären bevölkern das Museum wie einen ewigen Hort antiker Wahrhaftigkeit. Aber auch unerwartete Szenen sind zu sehen, so auf dem Grabstein einer wohlhabenden Dame, die im Relief einen ihrer fülligen Busen enthüllt, den ihre Dienerin verliebt betrachtet. Die beiden waren wohl ein Liebespaar.
»Eirene mit dem Plutosknaben« gilt als Vorläufergestalt für den Marienkult. Dabei ist Eirene die Friedensgöttin, und das Kleinkind auf ihrem Arm symbolisiert Reichtum. Gefunden wurde die römische Marmorfigur 1816 in der Villa Albani in Rom. Datiert ist sie auf das zweite Jahrhundert, das griechische Original hingegen auf um 370 vor unserer Zeitrechnung. Und: Es soll aus Bronze gewesen sein. Eirenes Nase und einige Arme fehlen nun dem römischen Werk.
Mut zur Lücke
Bei der Präsentation dieser Werke entschied man sich in München nach dem Zweiten Weltkrieg für einen mutigen Weg: Man zeigt seither nicht mehr bevorzugt ergänzte und »reparierte« Exponate, sondern mit wenigen Ausnahmen nur das, was man als Material in antiker Ausführung hat. Schadstellen bleiben, fehlende Nasen und Gliedmaße fehlen auch weiterhin. Tatsächlich ergänzt das menschliche Auge oft problemlos in der Phantasie, was faktisch fehlt – und man empfindet die »verletzt« wirkenden Kunstwerke sogar als besonders rührend.
Astrid Fendt, die klassische Archäologin, Kunst- und Althistorikerin ist und als Oberkonservatorin in der Glyptothek wirkt, kennt die Entwicklung der Rezeption historischer Kunst: »Seit der Renaissance macht man sich um Restaurierungen Gedanken. Der Gedanke der Vervollständigung war dabei zunächst prägend, bis in den Barock hinein. Die eigene Zeit wurde dabei jeweils stark mit hineingebracht.« So wurden fehlende Nasen und Beine erst aus Marmor, später bevorzugt aus Gips ergänzt. Der war flexibel, ließ sich schnell entfernen oder ändern. Patina wurde mit Schwarztee aufgemalt. Und man hatte keine Skrupel, die antiken Plastiken dem eigenen Schönheitsideal anzupassen.
Heute, so Fendt, wird vor allem »die Pflege des Vorhandenen« als Hauptaufgabe gesehen. »Festigung und Haltbarmachung« sind die Ziele. Die Materialien der Werke sind aber manchmal diffizil: Außer Marmor und anderen Steinen gibt es auch Metalle, etwa Bronze und Eisen – und sie sind anfällig für Korrosion. Rötliche Rostverfärbungen der Werke können dabei von innen kommen, von den Glimmeradern – oder von außen. Denn Mitte des 19. Jahrhunderts wurden aus Prüderie die nackten Mannsbilder in der Glyptothek mit metallenen Feigenblättern ausgestattet und es entstanden dort rostige Spuren. Die Feigenblätter gehören schon lange der Vergangenheit an.
Eine rekonstruierende Wegnahme betrifft auch die Südfassade. Denn die große Freitreppe, die bis vor gut drei Jahren die Front schmückte, war nicht original, sondern sie stammte aus dem 19. Jahrhundert. Zu einem griechischen Tempel passte sie nicht. Und der Kernbau der Glyptothek wird nicht ohne Grund »Tempel« genannt, er hat einen entsprechenden Grundriss.
Jetzt gibt es draußen wieder eine schmale Treppe, wie sie von Klenze bauen ließ. »Übrigens ist diese Veränderung kaum jemandem aufgefallen«, freut sich Restaurator Pfanner. Das liegt vielleicht daran, dass man rechts und links neben der Gehtreppe hohe Sitzstufen baute, von denen aus man bequem die Aussicht auf den Königsplatz genießen kann. Sie verbreitern optisch die Gehtreppe.
Der rückwärtige sogenannte Königseingang, – an den man mit der Droschke heranfuhr –, ist jetzt aufgehübscht und mit der barrierefreien Rampe kein schäbiger Hintereingang mehr. Die Hauptattraktion der Fassade aber bleibt das nach Süden gewandte »Gesicht«: Acht Säulen prangen am Hauptportal und sechs große Statuen locken zur näheren Betrachtung. Unter dem Dach brilliert der Fries zu Ehren von Athene, die zugleich die Göttin der Weisheit, aber auch der Handwerkskunst ist. Und ganz obenauf gibt es eine steinerne Lyra, auf der gerne die Tauben sitzen.
»Das ganze Gebäude trägt reichen Skulpturenschmuck, eine Entlehnung der Antike«, sagt Pfanner. Unter den Nischenfiguren finden sich historische und mythische Künstler, Mäzene und Donatoren. Kaiser Hadrian etwa förderte die Künste, und Bildhauer wie den italienischen Michelangelo findet man an der Fassade gen Westen. Im Osten hingegen ist der Däne Bertel Thorvaldsen verewigt. Man dachte damals in großen Zügen und vereinte die Antike und ihre Bewunderer.
Für Pfanner sind die Zusammenhänge der Vergangenheit wesentlich, denn: »Wenn man seine Geschichte nicht kennt, kennt man sich selbst nicht.«
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