Mehr Gelassenheit – mehr Freiheit
Von René Lau
Jeder Stadiongänger spürt, dass die Polizei seit der Pandemie im Umgang mit Fans wieder verstärkt auf Repressionen setzt. Deeskalation, Verhältnismäßigkeit, Augenmaß? Fehlanzeige. Das bekam auch ein Fan zu spüren, der vor einiger Zeit zu mir kam. Sein Verein spielte eine bescheidene Saison und musste in die Relegation. Auf dem Weg zum Stadion unterhielt er sich mit anderen. Alle waren frustriert ob der sportlichen Situation. Die Verärgerung war groß und verständlich. Während sie so unterwegs waren, passierten sie auch Fahrzeuge von Team Blau, wobei in jedem der Polizeiwagen nur ein Beamter saß, da alle schon im Einsatz waren. Einer dieser Polizisten hörte die Diskussion der Fans mit, sah in ihre Richtung und wurde von meinem Mandanten gefragt, warum er »so blöd gucke«. Nun meinte der Beamte, ein Strafverfahren wegen Beleidigung einleiten zu müssen, traute sich aber nicht, den Mandanten alleine anzusprechen. Also wandte er sich an die in der Nähe befindlichen »szenekundigen Beamten« (SKB), die selbstverständlich halfen. Allzu gern nageln diese SKB einen Fußballfan strafrechtlich ans Kreuz. Und schon hatte der Mandant ein Strafverfahren wegen Beleidigung am Hals.
Problem war nur, dass er wegen einer anderen Fußballsache unter laufender Bewährung stand. Würde er jetzt verurteilt, könnte die Bewährung widerrufen werden – der Familienvater bangte um seine Freiheit. In der Hauptverhandlung wurde der Beamte gehört, ich diskutierte mit Staatsanwaltschaft und Gericht. Schließlich konnten beide davon überzeugt werden, dass es sicherlich nicht die klügste Aktion des unter Bewährung stehenden Mandanten war, aber auch die Schwelle zur Strafbarkeit äußerst gering überschritten war. Und so stimmten alle einer Einstellung gegen Auflage zu. Der Mandant war erleichtert.
Aber hätte es nicht auch ausgereicht, wenn der Beamte den Mandanten angesprochen und auf seine Wortwahl hingewiesen hätte? Ein kurzes Gespräch und alles wäre geklärt gewesen. Auch für Polizisten gilt: Manchmal ist weniger mehr. Mehr Gelassenheit bedeutet dann auch mehr Freiheit.
»Sport frei!« vom Fananwalt.
Drei Wochen kostenlos lesen
Wir sollten uns mal kennenlernen: Die Tageszeitung junge Welt berichtet anders als die meisten Medien. Sie bezieht eine aufklärerische Position ohne Besserwisserei und wirkt durch Argumente, Qualität, Unterhaltsamkeit und Biss.
Testen Sie jetzt die junge Welt drei Wochen lang (im europäischen Ausland zwei Wochen) kostenlos. Danach ist Schluss, das Probeabo endet automatisch.
Mehr aus: Sport
-
Aus Fehlern lernen
vom 27.01.2023