Winkel, Ecken und mehr Personal
Von Susanne Knütter
Kinder, die 2026 eingeschult werden, haben dann einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung. Dabei ist jede Berliner Grundschule seit der Reform 2006 bereits eine Ganztagsschule, wie der Berliner Landesverband der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft am Donnerstag in Berlin klar machte. Doch die Rahmenbedingungen sind schlecht. Vor der zu wiederholenden Abgeordnetenhauswahl in der Hauptstadt erinnerte die Gewerkschaft die Koalitionsparteien an ihre Versprechen vor der letzten Wahl. Seit 2006 sei lediglich ein quantitativer Ausbau der Ganztagsschulen erfolgt, heißt es in einem Positionspapier der Gewerkschaft. Die Qualität blieb auf der Strecke. Und ein ernstes Bestreben, hier etwas zu verbessern, sei auch jetzt nicht festzustellen.
Die GEW meint dabei insbesondere den Personalmangel. Derzeit seien trotz eines offiziellen Personalschlüssels von eins zu 22 reale Betreuungsrelationen von einer Lehrerin bzw. einer Erzieherin auf 40 Kinder und mehr keine Seltenheit. Einen Grund sieht sie darin, dass Zeiten für Urlaub, Fortbildung, Krankheit und mittelbare pädagogische Arbeit beim gesetzlichen Personalschlüssel nicht zusätzlich berücksichtigt werden. Außerdem sind die Kinder nicht »passend« zur Arbeitszeit der Erzieherinnen und Erzieher anwesend. Die GEW fordert, den gesetzlich festgeschriebenen Personalschlüssel von aktuell 1:22 auf 1:15 zu senken.
Nach Angaben der GEW sind derzeit etwa 6.000 Erzieherinnen und Erzieher in der ergänzenden Förderung und Betreuung eingesetzt. Diese Zahl setzt sich aus rund 1.200 Kollegen in freier und etwa 4.800 Kollegen in öffentlicher Trägerschaft zusammen. Ein Personalschlüssel von 1:15 würde eine Steigerung auf 147 Prozent der jetzigen Personalausstattung bzw. etwa 1.900 zusätzliche Erzieher (Vollzeit) bedeuten. Kosten: rund 120 Millionen Euro zusätzlich pro Jahr.
Für die Alltags-, Arbeits- und Essensorganisation spielen koordinierende Erzieher eine ebenso wichtige Rolle. Die heutige Regelung, die an einer Ganztagsschule maximal eine volle Leitungsstelle vorsieht, stammt aus der Zeit der in der Größe überschaubaren Horte. Im heutigen Ganztagsbetrieb seien laut GEW aber 400 betreute Kinder und Teams von 30 Beschäftigten an einer Schule keine Seltenheit mehr. Für diese Entwicklung brauche es daher auch mehr freigestellte Erzieher mit Leitungsfunktion.
Die GEW ist sich bewusst, dass die Fachkräftelücke nicht von heute auf morgen geschlossen werden könne. Allerdings stagnierten die Ausbildungszahlen an den Fachschulen für Sozialpädagogik. Neben klaren Zielvorgaben für mehr Personal fordert die GEW auch Anstrengungen, um die Ausbildung zur Erzieherin attraktiver zu machen. Was ihr vorschwebt, ist nicht so viel: Praktikumsvergütungen für die Pflichtpraktika sowie ein leichterer Zugang zum BAföG. Denn hier gebe es immer wieder Probleme mit der entsprechenden Förderung.
Last but not least gehört zu einer Ganztagsschule genug Platz, woran es derzeit ebenso mangelt. Drinnen wie draußen. Dazu zählten auch »Winkel und Ecken, in denen Projekte über mehrere Tage entstehen können, die den Kindern selbstbestimmte Rückzugsmöglichkeiten bieten und die der unterrichtlichen Nutzung entzogen bleiben.«
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