Gepeinigt von Sanktionen
Von Karin Leukefeld, Damaskus
Die syrische Bevölkerung hat »Vertrauen und Zuversicht« in den UN-Prozess längst verloren. Grund dafür ist die anhaltende Verschlechterung der Lebensbedingungen für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung – und zwar unabhängig davon, wo im Land sie leben.
Verantwortlich für die Wirtschaftskrise ist neben den Kriegsfolgen die Teilung des Landes durch Besatzungstruppen aus der Türkei und den USA. Mit einseitiger Parteinahme für sehr unterschiedliche Regierungsgegner blockieren sie den innersyrischen Dialog und spalten die Gesellschaft. Die USA unterstützen die mehrheitlich kurdisch-arabischen Syrischen Demokratischen Kräfte (SDK) im Nordosten; die Türkei unterstützt Islamisten in Idlib und im nördlichen Umland von Aleppo. Die Besatzungstruppen hindern die syrische Regierung außerdem im Norden, Nordwesten, Nordosten und Süden (Al-Tanf) daran, die nationalen Grenzen zu kontrollieren, Schmuggel zu unterbinden und die eigenen Ressourcen (Öl, Gas, Wasser, Baumwolle, Weizen) zu fördern und zu nutzen.
Ein weiterer Grund für die schwierigen Lebensverhältnisse in Syrien sind die einseitigen wirtschaftlichen Strafmaßnahmen westlicher Staaten und Staatenbündnisse. Sie richten sich nach offizieller Darstellung gegen die Verursacher von Repression und Unterdrückung der Bevölkerung, treffen allerdings gerade diejenigen im Land, die man vorgibt, schützen zu wollen. Die einseitigen Strafmaßnahmen sind weder vom UN-Sicherheitsrat noch von der UN-Generalversammlung gebilligt, sondern entsprechen den politischen Interessen von der EU und den USA, die Wirtschaftssanktionen als Druckmittel gegen politische Gegner weltweit einsetzen.
Seitens der UN-Sonderberichterstatterin für die Folgen einseitiger wirtschaftlicher Strafmaßnahmen auf die Bevölkerung eines Landes, Alena Douhan, blockieren die von der EU (2011) und den USA (2019) gegen Syrien verhängten Maßnahmen den Wiederaufbau und die Stabilisierung des Landes und verletzten die Menschenrechte der syrischen Bevölkerung. Douhan forderte nach einem zwölftägigen Aufenthalt in Syrien im November 2022 die Aufhebung der Sanktionen.
Nach Angaben von OCHA (Amt der UNO für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten) benötigen 15,3 Millionen Menschen in Syrien Hilfe zum Lebensunterhalt. 77 Prozent der Haushalte verfügen demnach nicht über genügend Einkommen, um grundlegende Bedürfnisse zu sichern. Acht Prozent der Haushalte sind den OCHA-Angaben zufolge völlig mittellos.
Obwohl die Probleme landesweit bestehen, wird im UN-Sicherheitsrat weiter darüber gestritten, ob Hilfe für Idlib »grenzüberschreitend« aus der Türkei kommen soll oder die gesamte humanitäre Hilfe über Damaskus verteilt wird, was dem humanitären Völkerrecht entspricht. Im Rahmen der innersyrischen sogenannten frontlinienüberschreitenden Versorgung, die entsprechend der UN-Sicherheitsratsresolution 2585 (aus dem Jahr 2021) verstärkt werden soll, wurde am 8. Januar 2023 erst der zehnte Konvoi, bestehend aus 18 Lastwagen, auf den Weg gebracht.
Über den syrisch-türkischen Grenzübergang Bab Al-Hawa dagegen fuhren 2022 monatlich im Durchschnitt 600 Lastwagen mit Lebensmitteln und weiterer humanitärer Hilfe nach Idlib. Das Gebiet im Norden der nordwestsyrischen Provinz steht unter Kontrolle des Al-Qaida-Ablegers Haiat Tahrir Al-Scham (HTS). Am 9. Januar 2023 wurde diese umstrittene Maßnahme, mit der die Souveränität Syriens außer Kraft gesetzt wird, unter dem Beifall der westlichen Vetostaaten Frankreich, Großbritannien und USA um sechs Monate bis zum 10. Juli 2023 verlängert.
Drei Wochen kostenlos lesen
Wir sollten uns mal kennenlernen: Die Tageszeitung junge Welt berichtet anders als die meisten Medien. Sie bezieht eine aufklärerische Position ohne Besserwisserei und wirkt durch Argumente, Qualität, Unterhaltsamkeit und Biss.
Testen Sie jetzt die junge Welt drei Wochen lang (im europäischen Ausland zwei Wochen) kostenlos. Danach ist Schluss, das Probeabo endet automatisch.
-
Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (27. Januar 2023 um 13:59 Uhr)Sehr geehrte Frau Leukefeld, es ist sicher wichtig, die Realität zu schildern und die Sanktionen anzuprangern. Aber bei manchen Überschriften (z. B. »Verfall eines Landes«, »Wiederaufbau des Landes in weiter Ferne«), könnte man leicht depressiv werden. Gibt es denn gar nichts Positives aus Syrien zu berichten? Immerhin wurden im größten Teil des Landes die vom Westen unterstützten Terroristen und Halsabschneider vertrieben. Dieser Kampf war doch nicht vergebens.
-
Leserbrief von Onlineabonnent/in Moritz M. aus Trier (27. Januar 2023 um 12:20 Uhr)Liebe Redaktion, das Thema ist bedeutend für die letzten Jahre und zeigt, wie ein Land zwischen zwei imperialistischen Kräfte (USA und Russland) zerrissen wird. Und die USA müssen kritisiert werden, jedoch muss man doch auch in der Lage sein, zu benennen, wie es zu den Menschenrechtsverletzungen kam. Durch Chemieangriffe auf die eigene Bevölkerung terrorisiert das Assad-Regime die Menschen. Das macht es mit der Unterstützung Russlands. Die USA auf der anderen Seite syrische Mineralien stehlen. Also Krieg führen, um ihre wirtschaftlichen Interessen zu stärken. Ich finde, dass man auf hier auf beide Seiten hätte eingehen können. Hier wurde nur der Westen für das Leiden der Zivilbevölkerung verantwortlich gemacht. Trotzdem freut es mich, dass das Thema Gehör findet.
-
Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (27. Januar 2023 um 16:00 Uhr)Es war schon immer gut, gleichen Abstand zu wahren. Damals auf dem Schulhof. Dem Geschlagenen nicht zu helfen und dem Schlagenden nicht in den Arm fallen. An der Seite zu stehen und zu beobachten wer siegt. Um am Ende sagen zu können: Ich hab’s ja schon immer gesagt, es geht mich nichts an, wer angefangen hat.
-
Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (27. Januar 2023 um 12:57 Uhr)Ihr Leserbrief stellt die Wirklichkeit auf den Kopf. Dass die Bevölkerung im größten Teil Syriens heute unbehelligt von terroristischen Halsabschneidern leben kann, verdankt sie auch der Hilfe Russlands. »Durch Chemieangriffe auf die eigene Bevölkerung terrorisiert das Assad-Regime die Menschen.« Da haben Sie wohl zu viel Tagesschau und heute geschaut.
-
Ähnliche:
- REUTERS/Firas Makdesi27.01.2023
Blockade gegen Damaskus
- Firas Makdesi/REUTERS28.12.2022
Verfall eines Landes
- 14.05.2013
Syrien: Türkei für Terror verantwortlich
Mehr aus: Schwerpunkt
-
Blockade gegen Damaskus
vom 27.01.2023