»Demonstrieren ist wie meckern«
Von Michael Mäde-Murray
Ob der Humorist nicht einfach ein Blödelbarde mit ausgezeichneten Kenntnissen im Klavierspielen ist, war nach Ansicht früherer Aufnahmen, die das Internet für ewiglich gespeichert hat, nicht ohne weiteres zu entscheiden. Neben witzigen und intelligenten Pointen fanden sich auch allerlei Blödeleien, die es u. a. sogar zu einem Buchtitel gebracht hatten (»Frühling, Sommer, Herbst und Günther«). Dass es so einfach nicht werden würde, ahnte, wer die Biographie von Marco Tschirpke kannte. Der 1975 geborene Dichter hatte u. a. Texte von Peter Hacks vertont und im Verlag Andre Thiele seine ersten Lyrikbände herausgebracht.
Damit fing der Spaß freilich erst an. Seit den nuller Jahren stand Tschirpke mit seinen Gedichten und den sogenannten Lapsusliedern auf den Kleinkunstbühnen des Landes und räumte ein gutes Dutzend renommierter Preise ab. Seine Lieder sind meist kurz, wollen rasch auf eine Pointe hinaus, was die Kurzweil so eines Abends noch unterstützt. Tschirpkes beachtliches musikalisches Talent rundet die Sache ab. Zuweilen wird Tschirpke politisch, ist mit seinen Texten dem Kabarett näher als die schlechten Comedians, die mit ihren entbehrlichen Späßen die Fernsehkanäle verstopfen.
Spätestens mit dem aktuellen Buch »Dichten, bis ich Dresche kriege« stößt Tschirpke eine neue Tür auf – die zur Dichtung. Die gelegentlich gezogenen Vergleiche mit Heinz Erhardt oder Robert Gernhardt hinken. Tschirpkes Texte passen nicht in Schubladen. Gut, die Gedichte sind gereimt, man findet viel Liedhaftes, aber keine Balladen. Auch Albernes findet sich in dem Büchlein sowie einige Texte aus älteren Bänden. Der Inhalt überzeugt. Hier werden politische Gegenstände verhandelt, mit leichter Hand und viel Gespür fürs Ästhetische ins Wort gesetzt. In »Kapitalversprechen« heißt es: »Weshalb ein Mensch von Sittlichkeit / An diesen Staat nicht glaubt? / Die KPD wurde verboten, / Die AfD, die ist erlaubt. // Der Nazi nämlich tut zwar dies / Und jenes, wenn er kann, / Doch rührt dabei die Frage nach / Dem Eigentum nie an.« In den acht Zeilen steckt mehr Wahrheit als in manch länglicher linker Abhandlung über Antifaschismus. Eine Reihe von Texten – »Neuer Schiffsverkehr«, »Freier Markt«, »Stante Pede Ante Portas« – entwickeln nicht bloß Humor und Hintersinn, sondern erhellen beiläufig größere Zusammenhänge.
Tschirpke hat außerdem einen – nicht nur abstrakten – Klassenbegriff parat, etwa im Gedicht »An eine junge Aktivistin«: »Wenn ich mir was wünschen dürfte, / Hättest du die Demos satt / Und erfreutest dich der Wirkung, / Die ein Generalstreik hat. // Demonstrieren ist wie meckern. / Ruht indes die Produktion, / Steht auf einen Schlag der ganze / Apparat zur Diskussion. // Nenn mich einen Bolschewisten, / Nenne mich gar schizophren: Komm und lass uns planwirtschaften! / Oder planlos untergehn.«
Ja, da bekommt der Buchtitel langsam Plausibilität. Man könnte fast meinen, dass aus »Dichten, bis ich Dresche kriege« eine gewisse Erwartungshaltung spricht. Tschirpke verfügt über eine wohltemperierte Boshaftigkeit, ohne die die Realität kaum trefflich abzubilden wäre. Im Text »Westdeutsche Linke« legt sich der Dichter gleich mit einer ganzen Geisteshaltung an: »Alles was sie jemals denken, / Und sie denken ja durchaus, / Speist sich aus dem trüben Brunnen / Der Kritik. Tagein, tagaus / Blickt ihr Auge auf den Mist, / Der dem Staate eigen ist. // Wer Kritik übt, glaubt im Herzen / An das bessre Argument, / Wirft dem Wolf vor, dass er Wolf ist, / Und dem Feuer, dass es brennt. / Merkste was? Kritik allein / Kann des Pudels Kern nicht sein.«
Der Text, wie auch einige andere des Bandes, sind in der Konkret erschienen. Hier wandelt ein Dichter offensichtlich auf den Spuren der »Jetztzeit«-Gedichte, die Peter Hacks ab 1998 in der linken Monatsschrift regelmäßig veröffentlichte und damit für einigen Aufruhr sorgte. Tschirpkes eigensinniges Talent und sein gelegentlich etwas spezieller Humor garantieren, dass nichts Epigonales entsteht. Der Leser, der Freude an Dialektik, Scharfsinn und gewandter Sprache hat, sollte Tschirpkes weiteren Weg aufmerksam verfolgen.
Marco Tschirpke: Dichten, bis ich Dresche kriege. Politische Lyrik. Eulenspiegel-Verlag, Berlin 2022, 95 Seiten, 15 Euro
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