Tag der Trauer
Von Thomas Berger
In den Weiten Down Unders zwischen Darwin und Melbourne, Perth und Sydney, Adelaide und Cairns wird am 26. Januar wieder der »Australia Day« gefeiert. Der Nationalfeiertag, der an die Landung der elf Schiffe der »First Fleet« (Ersten Flotte) unter dem Kommando von Arthur Phillip 1788 in der Botany Bay, der heutigen Bucht von Sydney, erinnert, wird inzwischen landesweit mit sowenig Enthusiasmus begangen wie nie zuvor. Gerade die vielen indigenen Gemeinschaften stoßen sich an der traditionellen Deutung des historischen Datums, sehen statt eines Anlasses zum Feiern einen Trauertag in Erinnerung an brutale koloniale Landnahme, Morde und Massaker sowie Unterdrückung ihrer Vorfahren und ihrer Kultur. Es gibt sogar vermehrt Stimmen, die statt einer inhaltlichen Akzentverschiebung oder eines anderen Datums eine Streichung des Gedenktags fordern. Im Vorfeld der Feiern in dieser Woche nimmt diese Debatte an Fahrt auf. Dabei bleibt es nicht bei der Kontroverse um den Jahrestag von 1788. Noch immer ringen Aborigines auf dem Festland und Torres-Strait-Insulaner um Gleichberechtigung im sozialen, wirtschaftlichen und politischen Leben.
Koloniale Tradition
Ein separater Feiertag, um an das lange Leiden der Aborigines zu erinnern? Eine klare Mehrheit von 57 Prozent sprach sich jüngst bei einer Umfrage dafür aus. 33 Prozent würden den 26. Januar parallel beibehalten, 26 Prozent wären sogar für die Abschaffung des Feiertags. Nur ein Drittel kann solchen Überlegungen nichts abgewinnen. Während dieser Anteil bei der Anhängerschaft der oppositionellen Konservativen 50 Prozent beträgt, sind es bei Wählern der regierenden Australian Labor Party (ALP) von Premier Anthony Albanese zusammen knapp 70 Prozent, die mindestens in Ergänzung auch einen Tag für die »First Nations« wünschen. Bei den Anhängern der Grünen sind es gar 63 Prozent der Befragten, die explizit für eine Abschaffung des »Australia Day« eintreten. Allein der vage Gedanke daran regt aber viele Bürgerliche auf und lässt noch weiter rechts stehende Gruppierungen – darunter die ebenfalls parlamentarisch vertretene One Nation Party der Politaußenseiterin Pauline Hanson – auf die Barrikaden gehen.
Unbestreitbarer Fakt ist: Die damalige Ankunft der ersten Sträflingstransporte löste eine brutale Landnahme aus. Gerade die später folgenden freien Siedler, Glücksritter und Goldsucher drangen endgültig auf Kosten der dort seit 40.000 bis 60.000 Jahren beheimateten indigenen Volksgruppen in alle Ecken Down Unders vor. Wer nicht kulturell zwangsassimiliert oder etwa bei Widerstand und Aufbegehren getötet wurde, verstarb allzuoft an eingeschleppten Krankheiten. Seit dem 150. Jubiläum 1938 gilt der 26. Januar bei den Indigenen als »Tag des Trauerns«. 2008 entschuldigte sich zwar der damalige ALP-Premierminister Kevin Rudd vor allem bei den Angehörigen und Nachkommen der »gestohlenen Generationen« – also jenen Aborigineskindern, die noch bis in die 1970er ihren Eltern von Staats wegen weggenommen worden waren. Elf Jahre hatte es aber bis zu diesem »Sorry« gedauert. Denn schon 1997 hatte ein von einer früheren ALP-Regierung erstellter Bericht dieses Unrecht dargelegt.
Anhaltende Ausgrenzung
Laut Statistikbehörde zählten 2021 gut 980.000 Einwohner zu den Aborigines. Das sind etwa 3,8 Prozent der Gesamtbevölkerung. Während sie in Victoria nur 1,2 Prozent ausmachen, stellen sie im Northern Territory knapp 31 Prozent. Gerade dort gibt es aber tendenziell auch die meisten Probleme mit Perspektivlosigkeit, Alkoholismus, tatsächlicher oder vermeintlicher Kriminalität. Dagegen helfen sollen Wohlfahrtsprogramme. Die an Sozialindikatoren wie Bildungsstand oder Lebenserwartung abzulesende Benachteiligung haben sie jedoch nicht beseitigen können. Immerhin hat der Regierungswechsel im Mai 2022 auch eine offene Debatte um soziale und politische Gleichberechtigung begünstigt. Unter anderem geht es um die Einführung eines indigenen Beratungsgremiums für das Parlament. Die ALP-Regierung will dazu ein Referendum vorbereiten, Grüne und Aboriginesverbände fordern zuvor mehr Klarheit über das Konzept und einen nationalen Versöhnungsvertrag.
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