Raub von Amts wegen
Von Kristian Stemmler
Kurz vor dem »Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus« an diesem Freitag, dem 27. Januar, ist ein Forschungs- und Ausstellungsprojekt zur Rolle der Hamburger Finanzverwaltung in der Zeit des deutschen Faschismus gestartet worden. Das Projekt widmet sich unter der Überschrift »Ausgeraubt vor der Deportation« einem Aspekt der Verfolgung von Juden und anderen Minderheiten, der bisher unterbelichtet ist: der staatlich gelenkten Ausplünderung der Betroffenen. Das teilte die »Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte zur Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen«, die das Projekt durchführt, am Montag mit.
»Lücken unserer Geschichte«
Während des Krieges sei der Fiskus durch den Entzug des Vermögens sowohl der Deportierten wie auch der ins Ausland Emigrierten zum wichtigsten Akteur bei der Ausplünderung von Jüdinnen und Juden avanciert, heißt es in der Mitteilung weiter. Dabei sei Hamburg als Hafen- und Auswandererstadt eine Schlüsselstellung zugekommen. In dem Projekt solle die Rolle erforscht werden, die die Finanzverwaltung »bei der Entrechtung, Ausbeutung und Deportation von Jüdinnen und Juden, von Sintize und Sinti sowie Romnja und Roma« gespielt habe. Dafür stellt die Finanzbehörde 203.000 Euro zur Verfügung. Die Ergebnisse sollen der Öffentlichkeit in Form einer Wanderausstellung zugänglich gemacht werden, die 2025 im Hamburger Rathaus sowie im Leo-Lippmann-Saal in der Finanzbehörde zu sehen sein soll.
Hamburgs Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) erklärte laut Mitteilung, jetzt, da immer mehr Zeugen versterben, sei es besonders wichtig, »die Erinnerung wachzuhalten und die auch bald 80 Jahre nach Kriegsende immer noch vorhandenen Lücken unserer Geschichte aufzuarbeiten«. Meist sei der physischen und psychischen Vernichtung der Verfolgten »die finanzielle Vernichtung« vorausgegangen, »an der viele mitwirkten und bei der sich auch viele bereicherten«, so Dressel. Oliver von Wrochem vom Vorstand der Stiftung erklärte, die finanzielle Ausbeutung der jüdischen Bevölkerung und die Vernichtung ihrer wirtschaftlichen Existenz gelte heute »als Vorstufe zu ihrer späteren physischen Vernichtung«. Die Finanzverwaltungen hätten bei der systematischen Enteignung jüdischen Vermögens eine zentrale Rolle gespielt.
Die Funktion der Finanzverwaltungen bei dem »Raub von Amts wegen« ist durch eine Reihe von Regionalstudien beleuchtet worden. Für Hamburg ist diese Mitwirkung noch nicht eingehend untersucht. Diese Lücke schließt das Projekt. So sollen die Finanz- und Zollbehörden Hamburgs unter die Lupe genommen werden, wobei unter anderem nach den Handlungsspielräumen der einzelnen Beamten bei der Umsetzung der rassistisch motivierten Beraubungspolitik gefragt wird. Ein zweiter Aspekt ist die Rolle der Hamburger Finanzverwaltung nach dem Krieg. Dabei geht es um die Frage, ob die Behörde aufgrund personeller Kontinuitäten zum Bremsklotz bei der Entschädigung wurde. Schließlich soll mit dem Projekt nach den Gründen gefragt werden, die die Aufarbeitung der Rolle der Finanzverwaltung in der Nazizeit so lange verhindert haben.
Spinne im Netz
Mit den Forschungen ist der Historiker Jaromir Balcar beauftragt worden. Balcar ist Privatdozent am Institut für Geschichtswissenschaft der Universität Bremen und hat für die dortige Finanzverwaltung bereits eine ähnliche Untersuchung durchgeführt. An der Beraubung der Verfolgten sei vor allem die Geheime Staatspolizei (Gestapo) beteiligt gewesen, die die Beschlagnahme von Eigentum anordnete, erklärte Balcar laut Mitteilung. Die Hamburger Finanzverwaltung sei damals eine Mittelbehörde des Reichsfinanzministeriums gewesen. »Diese Behörde war eine Art Spinne in diesem Netzwerk der staatlich organisierten Beraubung«, so der Historiker. Es habe aber auch auf privater Seite Profiteure gegeben, darunter Spediteure und Organisatoren von Versteigerungen sowie einzelne Bürgerinnen und Bürger.
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