Hindenburg Burning
Von Felix Bartels
Rian Johnson hat uns beschenkt. Mit einem Messer ohne Klinge, dem der Griff fehlt. Lichtenberg wäre zum Gähnen gerührt. Langeweile nämlich ist, wenn die Spannung allein auf dem Gang liegt. Der Ausgang von »Glass Onion: A Knives Out Mystery« bleibt matt. Alles andere damit auch.
Meisterdetektiv Benoit Blanc (Daniel Craig) ist wieder im Einsatz. Absonderliche Umstände führen ihn nach Griechenland auf eine Insel, die der Techmilliardär Miles Bron (Edward Norton) bewohnt. Mit Blanc anlanden auch: die Politikerin Claire, der Wissenschaftler Lionel, die Designerin Birdie, deren Assistentin Peg, der Körper-Influencer Duke (Dave Bautista) und dessen Freundin Whiskey (mit e natürlich). Duke, Birdie, Lionel und Claire sind alte Freunde von Miles, sie haben zur Einladung jeweils eine Rätselbox erhalten, ein Himitsu Bako mit geometrischen, semiotischen und logischen Aufgaben. Ebenfalls zum Kreis gehört Andi (Janelle Monáe), die überraschend am Treffpunkt erscheint. Es offenbart sich, dass an diesem Wochenende ein Detektivspiel um einen fingierten Mord stattfinden soll. Natürlich kommt ein echter bald hinzu.
Auf dieses grobe Setting setzen sich im Lauf der Handlung weitere Wendungen. Der Rätselsequenz folgt eine Einführung in die Beziehungen der Gruppe, auf die ein Spielmord, darauf ein echter Mord, dann ein wuchtiger Twist um einen Mord, der bereits passiert ist, schließlich die genretypische Auflösung des Falls und ein Finale, in dem der Film noch mal eine andere Richtung nimmt. Sechs Peripetien lassen die Handlung zu einer siebenhäutigen Zwiebel werden. Leider macht die Vervielfachung der Umschwünge den Film kein bisschen interessanter. Leider erzählt Johnson den Twist in der Mitte des Films mittels einer enervierend langen Rückblende. Leider ist die große Auflösung banal und wirklich die, die man gleich eingangs im Sinn hatte. Benoit Blanc beschreibt seinen Verstand als vollgetankten Rennwagen, der nirgends hinfahren kann. Dieser Film dagegen ist wie ein leerer Wagen, der überall hinfährt.
Als Netflix-Gezücht leidet »Glass Onion« an den bekannten Makeln: ein hohes, unklug eingesetztes Budget (465 Millionen US-Dollar) und ein fehlender Rotstift. Jeder Regisseur, auch Johnson, der zu den Besten seines Fachs zählt, benötigt den Blick von außen. Doch das Problem liegt bereits im Einfall. »Glass Onion« tritt als Abziehbild seines Vorläufers »Knives Out« (2019) an: Eine Gruppe von Menschen versammelt sich um einen schwerreichen Eigenbrötler, von dem sie sämtlich ebenso abhängig sind, wie sie Gründe haben, ihn zu hassen. Und ebenfalls wie im ersten Teil befindet sich eine Außenseiterin unter ihnen, die zum Sidekick des Ermittlers wird. Davon ab macht »Glass Onion« all das falsch, was im ersten Teil noch saß. Dort hatten wir einen veritablen Whodunit, »Glass Onion« ist ein Mock-Whodunit.
Die Glaszwiebel – sie steht leiblich auf der Insel, als Zentrum des großen Palastes, in dem der Milliardär seine Lebenszeit totschlägt – soll eine Metapher auf den Film selbst sein. Damit da keine Unklarheit bleibt, wird das dann auch gleich mehrfach gesagt. Die Zwiebel ist ein Schichtengewächs, Schale für Schale muss man zum Kern vordringen. Aber bei einer Zwiebel aus Glas ist der Kern bereits sichtbar. Die Konstruktion der Schalen muss also so sein, dass man den Kern, obgleich sichtbar, nicht erkennt. Tatsächlich lässt sich damit das Prinzip des Whodunit-Genres beschreiben: Alle Hinweise liegen schon vor einem, die Lösung aber durch deren Anordnung nicht auf der Hand.
Dem aufgeblasenen Anspruch, meta zu sein, wird »Glass Onion« kaum gerecht. Das Sinnbild stimmt schon, der Film halt nicht. Anders als ein veritabler Whodunit enthält er dem Zuschauer lange Zeit Informationen vor, ohne die selbst die beste Nase die Spur nicht aufnehmen könnte. An die Stelle der Deduktion rückt der Twist. Das ist dramaturgisch effektvoll, nur eben kein Krimi. Jedenfalls keiner, bei dem der Akzent auf der Lösung des Rätsels und der Reiz darin ruht, schneller als der Ermittler auf den Mörder zu kommen.
Bloß scheinbar intelligent ist denn auch die politische Ebene, die dieser Film unbedingt haben möchte. Unter dem, was in den langweiligen Feuilletons, wo man hochmütig auf die reine Unterhaltung herabblickt, »beißende Gesellschaftskritik« heißt, macht man es heute nicht mehr. Miles bemüht mehrfach das Wort »Disruption«. Zuschauern, die sich nicht bereits an Schumpeter blindgesoffen haben, muss man erklären, was das bedeutet. Der Ausdruck steht in der Ökonomie für die Einführung einer neuen Technologie, die nicht bloß den Markt erobert, sondern eine ältere Technologie und das gesamte daran hängende Geflecht (vom Rohstoff bis zur Distribution) zerstört. Das Schöpferische kann vernichtend sein. Ein klassisches Beispiel hierfür wäre die DVD, die die VHS verdrängt hat. Entsprechend spielt denn auch ein Faxgerät (als Disruptionsopfer par excellence) eine tragende Rolle im Film. Und mehrfach wird die Hindenburg erwähnt, die ja Beispiel einer misslungenen Disruption ist.
Aber Miles scheint gar nicht zu verstehen, was das Wort bedeutet. Er führt etwa Dukes Durchbrechen der Millionen-Follower-Marke bei Twitch an. Oder er glaubt, dass Disruption, die in der Ökonomie stets Element des Systems ist, das System selbst vernichten kann. Wenigstens wird sein unsägliche Gewäsch vom Film desavouiert, indem die neuartige Energiequelle, an der Miles arbeitet, am Ende dasselbe Schicksal leidet wie die Hindenburg. Dass der Film nicht klüger ist als seine dümmste Figur, zeigt sich dann allerdings, wenn seine schlauste Figur, Benoit Blanc, die große Explosion am Ende mit »Disruption« kommentiert. Filme dürfen gern dumm sein. Aber vielleicht sollten sie dann nicht so welterklärend einreiten.
Ein peinlicher Verdacht drängt sich auf. Könnte Rian Johnson angedeutet haben wollen, dass ihm mit diesem verkorksten Whodunit eine Disruption des Genres gelingen sollte? Wir wollen doch sehr hoffen: nein.
»Glass Onion: A Knives Out Mystery«, Regie: Rian Johnson, USA 2022, 104 Min., bei Netflix
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