Verteidiger der Ordnung
Von David Maiwald
Es komme eine »neue Zeit der Gestaltung«, in der es »um Zukunft und Transformation« gehe, stellte Yasmin Fahimi am Montag fest. Denn dieser »klimapolitisch zwingende und dringende Umbau« von »Industrie und Wirtschaft, aber auch der gesamten Gesellschaft« sei »nicht ein vergleichsweise einfacher Wechsel von einer Technologie in die andere«, erklärte die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) auf der Jahrespressekonferenz.
Das Jahr 2023 soll für den DGB offenbar Standortverteidigung bedeuten. Die »unmittelbaren« Aufgaben des Gewerkschaftsbundes hätten im vergangenen Jahr darin bestanden, »für Sicherheit und Stabilität zu sorgen und den wirtschaftlichen Absturz zu verhindern«. Das sei, »wie wir finden, am Ende erfolgreich« gewesen, erklärte Fahimi. »Ohne Standorttreue keine Standortvorteile«, sei in diesem Jahr nun die »einfache Logik, die wir durchsetzen wollen«, erklärte die DGB-Vorsitzende. Das vergangene Jahr habe gezeigt, »wie leistungsfähig ein starker Staat« und die »Kooperation von Sozial- und Tarifpartnern« sein könne. 2023 soll offenbar der Bund noch stärker gestaltend – und vor allem finanziell – eingreifen.
Zwar sollten Unternehmen verpflichtet werden, »neue Wertschöpfung und klimagerechte Produkte« an den hiesigen »und europäischen Standorten« zu entwickeln. Im Gegenzug könnten sie jedoch von »Milliardenbeträgen profitieren«, die vom Staat »national und europäisch« zur »Unterstützung der Transformation« geleistet würden. Aber »ohne Treue zu den Werten und Grundlagen einer sozialen Marktwirtschaft« gebe es keinen »Zugang zu den Vorteilen einer sozialen Marktwirtschaft«, so Fahimi. Mit »unseren passgenauen Tarifverträgen« hielten die Gewerkschaften in der Bundesrepublik jedoch »geradezu perfekte Instrumente« in den Händen, »um die Veränderung aus eigener Kraft und gemeinsamer Verantwortung gestalten zu können«, erklärte die DGB-Vorsitzende.
Im vergangenen Jahr habe der Gewerkschaftsbund »eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass man auf uns zählen kann«, erklärte Fahimi. Durch »erfolgreiche Tarifabschlüsse und Entlastungszahlungen des Staates« habe man die Einkommen vieler Privathaushalte »trotz der Preisexplosion« stabilisieren können. Schwindende Tarifbindung und ein »Auseinanderdriften der Arbeitswelten« würden ein »großes Risiko« und »sozialen Sprengstoff« bergen. Es sei die Aufgabe der Gewerkschaften, »die Reallöhne mindestens zu stabilisieren und nach oben zu bringen«. In den Branchen herrschten allerdings »zum Teil andere Realitäten«.
Die Tarifabschlüsse im vergangenen Jahr waren weniger durch tabellenwirksame Erhöhungen geprägt, als von durch Einmalzahlungen erzielten Inflationsausgleich. Die Industriegewerkschaft Bergbau Chemie Energie (IG BCE) verschob Tarifverhandlungen mit Hilfe einer noch zu versteuernden Einmalzahlung von 1.400 Euro im April auf Oktober, um dann, getragen von zwei steuer- und abgabenfreien Einmalzahlungen von 1.500 Euro, tabellenwirksame Steigerungen von jeweils 3,25 Prozent für 2023 und 2024 abzuschließen. Diese Inflationsprämie sorgte auch beim Tarifabschluss der IG Metall (IGM) in der Metall- und Elektroindustrie für eine Abfederung des deutlichen Reallohnverlustes, der sich durch eine tabellenwirksame Steigerung von 5,2 Prozent im Jahr 2023 und 3,3 Prozent 2024 ergibt.
Weil der »soziale Zusammenhalt« gefährdet sei, müsse 2023 »das Jahr der Verteilungsgerechtigkeit werden«, sagte DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell auf der Pressekonferenz. Auf eine angeblich drohende »Lohn-Preis-Spirale« angesprochen, bemerkte Fahimi, da einige Unternehmen in 2022 »exorbitante Gewinne erzielt und teilweise ausgeschüttet« hätten, müsse man eigentlich von einer Gewinn-Preis-Spirale sprechen. Es bleibt allerdings im Gedächtnis, dass die DGB-Vorsitzende noch Ende Dezember die Ausschüttung von Boni und Dividenden mit dem Verweis, es sei »nicht die Zeit für grundsätzliche kapitalismuskritische Debatten« als »normale Mechanismen der Marktwirtschaft« verteidigt hatte. Kurz vor Beginn der Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst an diesem Dienstag forderte DGB-Kovorsitzende Elke Hannack, bei der Personalplanung dürfe »nicht länger auf Kante genäht werden«.
Bei den Beschäftigten habe man 2022 »Vertrauen und Zustimmung« gewonnen, erklärte die DGB-Vorsitzende. Nach der Entwicklung von Mitgliederzahlen gefragt, verwies Fahimi auf die Einzelgewerkschaften, die noch nicht alle Zahlen veröffentlicht hätten. Sie seien »volatil« gewesen, »so wie das Jahr für jeden gewesen ist«. Bei Neueintritten sei man aber »zuversichtlich«.
Drei Wochen kostenlos lesen
Wir sollten uns mal kennenlernen: Die Tageszeitung junge Welt berichtet anders als die meisten Medien. Sie bezieht eine aufklärerische Position ohne Besserwisserei und wirkt durch Argumente, Qualität, Unterhaltsamkeit und Biss.
Testen Sie jetzt die junge Welt drei Wochen lang (im europäischen Ausland zwei Wochen) kostenlos. Danach ist Schluss, das Probeabo endet automatisch.
Ähnliche:
- C. Hardt/Future Image/imago22.09.2022
Raus aus der Sackgasse
- Kay-Helge Hercher/IMAGO16.09.2022
Geduld am Ende
- Jens Büttner/dpa-Zentralbild/dpa03.12.2021
Tarifflüchtige gegen zwölf Euro
Mehr aus: Inland
-
Deutlich weniger CO2 mit Tempolimit
vom 24.01.2023 -
»Die Polizei definiert, was ›friedlich‹ ist«
vom 24.01.2023 -
Streben nach Stärke
vom 24.01.2023 -
»Klimakleber« bleiben dran
vom 24.01.2023 -
Fußabtreter im Wissenschaftsbetrieb
vom 24.01.2023