»Die Polizei definiert, was ›friedlich‹ ist«
Interview: Gitta Düperthal
Laut Polizei liefen die Räumung und zugleich teilweise Rodung des Fechenheimer Waldes für den Ausbau der A 66 in der vergangenen Woche in Frankfurt am Main nach dem Motto »Sicherheit vor Schnelligkeit«. Wie fällt Ihre Bilanz aus?
Die Polizei wollte die Zerstörung des Waldes strukturiert durchziehen und zugleich das Narrativ setzen, dass die Klimaaktivisten vermeintlich die Kriminellen sind und die Polizei angeblich alles friedlich abwickelt. Sie definiert, was »friedlich« ist: wenn man sich an ihre Choreographie hält, auch nicht ansatzweise davon abweicht, nicht protestiert, sich ohne jeglichen Widerstand räumen lässt. Mit Härte bestimmte sie, wer die Bilder setzt. Ziel war offenbar, die Stadtbevölkerung einzuschüchtern, die kam, um den Waldbesetzerinnen und -besetzern für ihren Einsatz zu danken. Wer dazu in den sogenannten Sicherheitsbereich hineinwollte, wurde etwa eine Stunde lang einer Personalienüberprüfung unterzogen. Zu unserer Solidarität gehörte es, die Festgenommenen nach ihrer Freilassung vor dem Polizeipräsidium und der Justizvollzugsanstalt in Empfang zu nehmen. Klimaschutz ist kein Verbrechen.
Nach dem Räumungsbeginn am Mittwoch abend kehrten einige der Protestierenden um. Sie wollten sich nicht im Dunkeln in den Wald zu einer Demo begeben, die nach allen Seiten von bewaffneten, schwarz uniformierten Polizeitrupps, behelmt und mit heruntergeklappten Visieren, umzingelt war. Wird so der Preis hochgetrieben, das Demonstrationsrecht wahrzunehmen?
Im Fechenheimer Wald wurde die Hürde hochgesetzt, für seine Grundrechte zu demonstrieren. Was auch insbesondere Menschen aus dem bürgerlichen Spektrum abschrecken kann, die wir aufgerufen hatten, den Wald zu schützen. Strategie der Polizei ist offenbar, den Protest einzudämmen. Dieser Großeinsatz gegen ein paar Dutzend Waldbesetzerinnen und Waldbesetzer und circa 400 Unterstützerinnen mit einer schätzungsweise »Zehn-zu-eins-Betreuung« war völlig überdimensioniert. Menschen können so eingeschüchtert werden, sich unter den Bedingungen zu engagieren. Selbst nachdem geräumt worden war, kam die Polizei am Sonntag erneut zum Waldspaziergang, diesmal unbehelmt.
Innenminister Peter Beuth und Ministerpräsident Boris Rhein, beide von der CDU, jubelten um die Wette, wie »friedlich« der Einsatz gelaufen sei – Ihre Einschätzung dazu?
Das war überhaupt nicht friedlich, sondern gewaltsam der Natur gegenüber, die rücksichtslos zerstört wurde. Mit dem Einsatz wurden Gesetze gebrochen. Nach EU-Richtlinien darf es im Fall streng geschützter Tierarten keine Ausnahmen beim Artenschutz geben, was hier aber am Beispiel eines Käfers der Fall war. Das Klimaabkommen von Paris, die Erderwärmung von 1,5 Grad einzuhalten, wurde mit Füßen getreten. Besonders verwerflich ist, dass eine Regierung unter Beteiligung der Grünen zu all dem sogenannte Ausnahmegenehmigungen erteilt. Um Wirtschaftswachstum zu generieren, scheint das mittlerweile die Regel zu sein. Devise: Recht auf Autobahnbau überwiegt Pflicht zum Naturschutz.
Die Grünen-Fraktion im Landtag erklärte, gegen den Neubau von Autobahnen zu sein. Planungen im Fechenheimer Wald seien jedoch Ergebnis »eines langen, rechtsstaatlichen und demokratischen Verfahrens«.
Von wegen demokratisch und rechtsstaatlich: Bürgerbeteiligung hat nicht stattgefunden. Und: Was vor 50 Jahren machbar erschien, ist es aktuell nicht mehr. Wir befinden uns in der Klimakrise. Die CDU-Grünen-Landesregierung und die Ampelregierung im Bund denken, sie könnten das Problem lösen, indem sie die Umwelt- und Klimagerechtigkeitsbewegung bekämpfen. Es ist ein Politikversagen, dass Leute sich auf Straßen festkleben oder im Wald verbarrikadieren müssen. Uns zu kriminalisieren wird das Problem nicht lösen. Wir werden auch weiterhin gegen die Zerstörung der Umwelt durch Autobahnbau und Kohleabbau kämpfen. In Lützerath und im Fechenheimer Wald wird der Protest weitergehen. Wir sind im Austausch miteinander. Es ist zynisch, die Interessen von Wirtschaftslobbyisten über die der Gesundheit und das Überleben der Menschheit zu stellen.
Viola Rüdele ist Sprecherin des Bündnisses »Verkehrswende Frankfurt«
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