junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Gegründet 1947 Dienstag, 21. März 2023, Nr. 68
Die junge Welt wird von 2701 GenossInnen herausgegeben
junge Welt: Jetzt am Kiosk! junge Welt: Jetzt am Kiosk!
junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Aus: Ausgabe vom 24.01.2023, Seite 10 / Feuilleton
Comic

Quatsch in Goldbraun

Jens Harders illustrierte Zivilisationsgeschichte »Beta«
Von Marc Hieronimus
1122_pressemappe_beta_2-12.jpg
Ein Fest für den Tod: Das Mittelalter

Irgendwann muss Jens Harder sich gesagt haben, man könnte zum vierzehnmilliardsten Jubiläum doch mal die Erd- zur Bildergeschichte machen. Weil das nicht jedem Geschäftsmann einleuchtet, fand sein Buch »Alpha« (2010) nur über den Umweg Frankreich und den Kühnheitspreis des Comicsalons Angoulême einen deutschen Verleger.

In »Beta« will der Berliner Comiczeichner und Illustrator die Geschichte der erfolgreichsten terrestrischen Vielzeller beschreiben. »Beta«-Band eins von 2014 endet im Jahre Null, der nun erschienene »Beta«-Band zwei handelt von der Zeit seither. Ist ja einiges passiert seit damals, zu sehen auf rund 350 Seiten hintereinandergeklebter pop- und hochkultureller Bilder von Tempelreliefs über alte Meister in Öl bis Asterix und Rambo. Im langen Nachwort schreibt der Autor an die »Gottgläubigen«, er sei Atheist und möchte »Leser ansprechen, die eine naturwissenschaftlich begründete Sichtweise auf all die Entwicklungen teilen«. Den »Wissenschaftlern« teilt er mit, sein Buch sei »nicht mehr und nicht weniger als der Versuch der Darstellung einer möglichen Entstehungsgeschichte«. So kommt das Werk wie eine zwar subjektiv gefärbte, aber eben doch wissenschaftlich abgesicherte Geschichte der Menschheit daher. Ohne den Glauben an die guten und emanzipatorischen Elemente derselben und ohne Hoffnung auf göttliche Fügung ist Harder in der Lage so vieler Durchzivilisierter, nämlich der der völligen Trostlosigkeit.

Vielleicht gut, dass er nicht selber Panels entworfen hat, sondern das ganze Buch mit in Goldbraun abgepausten Gemälden, Filmstills und Druckwerken der unterschiedlichsten Stile und Epochen illustriert. Auch durch die strikte Bildanordnung erweckt der monumentale Band mehr den Eindruck eines Sammelalbums von Stollwerck oder Liebig als die Liebe des Geschichtscomicfreundes. Neben der Bildauswahl bleiben als einzige redaktionelle Leistung nur die oft ungelenken oder einfach schlechten Kommentare.

Auf einer Seite mit Brillenträgern von der Renaissance bis Harry Potter und Stevie Wonder (S. 159) heißt es z. B.: »Weiterentwicklungen in der Optik ermöglichen auf lange Sicht bald Bahnbrechendes … auf kurze Distanz gesehen bereits schon im dreizehnten Jahrhundert die Brille.« Haben die kein Lektorat bei Carlsen? Oder später, es geht gerade um Kommunikation und Fortbewegung: »So bringt die Techno-Evolution in diesen Bereichen alles hervor, um ihre Nutzer mit ihr Schritt halten zu lassen.« (S. 266) Aber mit diesem Ziel (»um … zu« gleich Finalsatz) würde sie doch besser die Beine stillhalten, die Techno-Evolution, oder? Manchmal scheint die so oft beklagte Plastiksprache der verwalteten Welt (U. Pörksen, K. Korn u. a.) regelrecht durch Harder hindurchzufließen: »Neue Formen der Datenverarbeitung« gemeint sind Bücher, jedenfalls sehen wir frühneuzeitliche Darstellungen von Lesenden »durchbrechen das religiöse Wissensmonopol und ermöglichen bessere Bildung und Teilhabe« (S. 184). Das klingt wie aus der Jobcenterbroschüre abgeschrieben: »Sie sind Leistungsempfänger und haben schulpflichtige Kinder? Beantragen auch Sie das BUT-Bildungspaket bei Ihrem Amt für Soziales, Arbeit und Senioren!«

Vollends an Karl Kraus’ Bonmot »Es genügt nicht, keine Gedanken zu haben, man muss auch unfähig sein, sie auszudrücken«, wird man erinnert, wenn die Unfähigkeit zur Formulierung noch von einem Mangel an Reflexion und Recherche begleitet wird. Das x-te Gemetzel kommentiert Harder mit dem Satz: »Das Abenteuer Kreuzzüge endet in einer Reihe blutiger Desaster, die nicht mal vor der stolzen Metropole Byzanz haltmachen.« (S.161) Eine Seite weiter sehen wir Minarette und ein Bild Mehmet des Zweiten. Was wir nicht sehen: Die Plünderung Ostroms durch »unsere« Recken im Jahre 1204 war weniger für die Kreuzfahrer als für die Byzantiner ein Desaster. Drei »abenteuerliche« Tage lang metzelten und vergewaltigten die edlen Ritter, schändeten Gräber, stahlen, was sie nur tragen konnten, und schlugen kaputt, was zu schwer war. Die türkische Eroberung 1453 verlief da weit glimpflicher für die Stadt und ihre Bevölkerung. Hier sieht es so aus, als folgte diese logisch aus jener oder als seien sie schlicht ein und dasselbe.

Was soll man aus dieser Menschheitsgeschichte lernen?

Jens Harder: »Beta – Civilisations« (Band zwei). Carlsen-Verlag, Hamburg 2022, 368 Seiten, 50 Euro

Drei Wochen kostenlos lesen

Wir sollten uns mal kennenlernen: Die Tageszeitung junge Welt berichtet anders als die meisten Medien. Sie bezieht eine aufklärerische Position ohne Besserwisserei und wirkt durch Argumente, Qualität, Unterhaltsamkeit und Biss.

Testen Sie jetzt die junge Welt drei Wochen lang (im europäischen Ausland zwei Wochen) kostenlos. Danach ist Schluss, das Probeabo endet automatisch.

Mehr aus: Feuilleton

Drei Wochen lang gratis gedruckte junge Welt lesen: Das Probeabo endet automatisch, muss nicht abbestellt werden.