Hohe Schule
Von Arnold Schölzel
Was auch immer den Bundeskanzler bewogen hat, das Gerücht zu streuen, er koppele eine »Leopard«-Lieferung daran, dass die USA ebenfalls Kampfpanzer nach Kiew schicken – der Schachzug war erfolgreich. Sein neuer Kriegsminister erklärte in Ramstein wörtlich, der Eindruck, es gebe in dieser Frage eine »geschlossene Koalition«, sei »falsch«. Es herrscht Meinungsverschiedenheit, um nicht zu sagen Verwirrung im Westen. Keine schlechte Leistung.
Boris Pistorius argumentierte zwar pflichtgemäß politisch, aber nicht moralisch. Seine Formulierung, »die russische Aggression zu beenden«, ist eindeutig, aber weit entfernt vom kindisch-emotionalen »Russland ruinieren« der in Doppelmoral unvergleichlichen Annalena Baerbock oder der lautstark geäußerten Liebe zu großen Kalibern von Marie-Agnes Strack-Zimmermann oder Anton Hofreiter.
Pistorius ist ein erfahrener politischer Kanalarbeiter und erteilte in Ramstein eine Lehrstunde, wie man – ließe sich sagen – einen politischen Panzer in einer vermeintlichen Sackgasse wendet und wieder ins Gelände kommt. Die Bundesregierung und ihr Kanzler stehen unter Druck? Das meinten deutsche Großmedien und Provinzgazetten, die das wochenlang wiederkäuten. Das glaubten die Kriegsfanatiker in Warschau oder in London. Pistorius warf ihnen erstens in gemäßigter Rhetorik ein Bekenntnis zum Kriegsziel vor und kam ihnen mit technischen Gegebenheiten, die ihre geistigen Fähigkeiten überstiegen: Prüfauftrag, um herauszubekommen, um wie viele »Leopard« es überhaupt gehen kann. Und: Die Ukraine benötigt vorrangig nicht Panzer, sondern Luftabwehr, also »Gepard«. Das war wenige Stunden nach der jüngsten »Leopard«-Forderung Wolodimir Selenskijs, für die ihm die ARD eine halbe Stunde sogenannter Prime-Sendezeit eingeräumt hatte, nicht weniger als eine politische Ohrfeige. Pistorius lieferte dazu das deutsche »Frühjahrspaket« – Waffen im Wert von einer Milliarde Euro. Unterm Tisch kräftig vors Schienbein treten, oben Sahnetorte rüberreichen – das ist hohe Intrigantenschule, also Diplomatie.
Das Dumme: Im Krieg geht es zu wie im Krieg, und Berlin hat in dem wenig zu sagen. Die Entscheidung, wie es weitergeht, fällt in Washington, die deutsche Kriegsfraktion wird aus ihrer Enttäuschung keinen Hehl machen und heulen. Die Baerbock, Hofreiter, Strack-Zimmermann und ihr Medientross wollen den »Führer«, den Scholz ihnen versprochen hatte. Der Kanzler wollte aber diesmal nicht. Er hat Zeit gewonnen, die Forderung nach der nächsten Eskalation wird aber kommen. Mal sehen, was beim Düpieren von »Freunden« dann drin ist.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Edgar W. (22. Januar 2023 um 11:25 Uhr)Man muss den Stimmen der Vernunft den Rücken stärken! Es ist erschreckend, wie sogenannte »Qualitätsmedien« (DLF, ARD, ZDF, Süddeutsche, Spiegel, …) in schiere Eskalationspropaganda verfallen sind und Politik samt Bevölkerung auf Kriegskurs treiben. Seit an Seit mit Strack-Zimmermann, Baerbock, Hofreiter, Kiesewetter uvm. Deutschland immer tiefer in den Krieg ziehen, ohne Gedanken an garantiert Zigtausende Tote mehr und einer möglichen nuklearen Katastrophe.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinz K. aus München (21. Januar 2023 um 09:03 Uhr)Ich gebe zu, dieses Ergebnis hat mich überrascht. Der neue Kriegsminister (und sein Chef Scholz) haben sich nicht kritiklos und unterwürfig den Wünschen der USA gebeugt, sondern Bedingungen gestellt und es auch geschafft, dies durchzuhalten! Spricht sich die Tatsache, dass eine weitere Eskalation des Ukraine-Krieges die höchste Gefahr eines vor allem Europa betreffenden Nuklearkrieges in sich birgt, jetzt endlich auch in Regierungskreisen herum? Eine Rückendeckung des »Großen Bruders« zu fordern, ist da wohl das mindeste – und wenn er nicht will, wollen wir auch nicht. Vielleicht ein kleiner – ein sehr kleiner! – Lichtblick? Sicher werden die Kriegstreiber heulen und zähneknirschen, Polen als deren Hauptanführer wird sicherlich wieder mit Erpressungs- oder Nötigungsversuchen rüberkommen (Reparatiosforderungen, Sperrung Gaspipeline). Wer solche Freunde hat, der braucht wahrlich keine Feinde mehr – und die Russen sind ganz bestimmt nicht unsere Feinde, deshalb sollte das unsägliche tägliche Hetzen gegen Russland endlich aufhören!
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