Wer kann sich das noch leisten?
Von Susanne Knütter
Die Anteile, die Bewohner von stationären Pflegeeinrichtungen selbst zahlen müssen, sind erneut deutlich gestiegen. Laut einer Auswertung des Verbandes der Ersatzkassen (vdek) mussten Pflegebedürftige, die bis zu zwölf Monate im Heim versorgt wurden, im Jahr 2022 durchschnittlich 2.411 Euro im Monat zahlen. Und damit 278 Euro mehr als im Vorjahr. Leistungszuschläge, die Betroffene je nach Aufenthaltsdauer seit letztem Jahr erhalten, sind da bereits eingerechnet.
Bei Pflege von einem bis zu zwei Jahren stiegen die Zuzahlungen demnach im Durchschnitt um 232 Euro auf durchschnittlich 2.183 Euro monatlich, bei Pflegezeiten von bis zu drei Jahren um 186 Euro auf 1.955 Euro und bei mehr als drei Jahren um 130 Euro auf 1.671 Euro. Allein die pflegerischen Kosten stiegen demnach um rund 25 Prozent. Ein Grund sind höhere Löhne. Einrichtungen müssen Pflegekräfte seit September nach Tarifverträgen oder ähnlich bezahlen. Die Mehrausgaben werden einfach auf die Pflegebedürftigen abgewälzt. Hinzu kommen die Kosten für Unterkunft und Verpflegung. Dafür mussten die Bewohner rund sieben Prozent mehr zahlen als im Vorjahr. Die Zuzahlungen für Unterkunft und Verpflegung stiegen binnen Jahresfrist von 801 auf nun 857 Euro.
Der allergrößte Anteil der 21 Millionen Rentnerinnen und Rentner kann den Eigenanteil im Pflegeheim nicht aus Altersbezügen zahlen, erklärte der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, am Donnerstag. Er wies darauf hin, dass sich der Eigenanteil von Pflegebedürftigen in den vergangenen fünf Jahren um rund 40 Prozent erhöht habe. Einen Ausweg sieht er in einer Umstellung auf feste Zuzahlungen für die Betroffenen. Den Rest müsse die Pflegeversicherung übernehmen.
Ähnlich sieht es die Volkssolidarität. »Die zu Pflegenden sollen einen festen Betrag zahlen, über den es nicht hinausgeht, und alles, was an weiteren Pflegekosten anfällt, muss über die entsprechenden Versicherungen abgedeckt werden«, erklärte Bundesgeschäftsführer Sebastian Wegner im Gespräch mit jW. Und er machte zusätzlich auf zwei medial ansonsten eher unterbelichtete Aspekte aufmerksam. Zum einen: Ohne eine Deckelung der Zuzahlungen führten die immer weiter steigenden Kosten etwa in der ambulanten Versorgung dazu, dass die Menschen bestimmte Leistungen nicht mehr abriefen. »Also jemand macht zum Beispiel die Wohnung sauber oder wäscht sie, dann sagen die Menschen einfach: Ich verzichte darauf, gerade im ambulanten Bereich, weil da spar ich die Kosten ein.«
Und zweitens: »Was uns wundert, ist, dass kein Aufschrei durch die Landkreise und Kommunen geht«, so Wegner. »Denn die finanzieren ja die Sozialhilfe.« Die Kommunen springen ein, wenn die Pflegebedürftigen nicht in der Lage sind, die Pflegekosten selbst zu bezahlen. Ist etwaiges Vermögen aufgebraucht, werden die Senioren zu Sozialfällen und können »Hilfe zur Pflege« beantragen. Regelmäßig verzeichnen Statistiker in dem Zusammenhang Rekordausgabensprünge. Im Jahr 2021 zahlten die Sozialämter insgesamt 4,7 Milliarden Euro. Gegenüber dem Vorjahr waren das zehn Prozent mehr.
In der Tat ist der Deutsche Städte- und Gemeindebund alarmiert. »Angesichts der aktuellen Situation ist mit einem weiteren ungebremsten Kostenanstieg zu rechnen«, erklärte ein Sprecher gegenüber jW. Und er warnte: »Die Finanzierung der Kosten der Hilfe zur Pflege ist eine Pflichtaufgabe der Kommunen. Ihnen muss Rechnung getragen werden, was unweigerlich zu Einsparungen in anderen Aufgabenbereichen führen wird.«
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