Narren in Hochform
Von Nico Popp
Auf dem Crellemarkt geht es am frühen Abend trotz Kälte und Dunkelheit lebhafter zu als gewöhnlich. Den kleinen, für seinen Wochenmarkt bekannten Platz am nördlichen Ende der Crellestraße direkt neben den Bahngleisen in einer früher mal proletarisch geprägten, inzwischen aber längst gentrifizierten Ecke Schönebergs hat sich der Linke-Bezirksverband Tempelhof-Schöneberg für eine Wahlkampfveranstaltung ausgesucht, die der Landesverband der Partei nicht bestellt hat. Hauptrednerin an diesem Donnerstag ist die Bundestagsabgeordnete Sahra Wagenknecht.
Rund 300 Menschen sind da. Keine Massenversammlung also, aber immer noch ein zahlreicheres Publikum als bei den Veranstaltungen, die der Landesverband vor der Wiederholungswahl zum Abgeordnetenhaus abspult. Die Landesspitze hat sich vorab bemüht, die Veranstaltung in Schöneberg zu ignorieren. Die Abgeordnete Elif Eralp, die im Landesvorstand sitzt, tat am Montag bei Twitter kund, dass Wagenknecht »nicht in unserem Namen« spreche; dem einladenden Bezirksverband stehe im Landesverband – der sich im Wahlkampf als »Berliner Linke« von der Bundespartei absetzt – »eine große Mehrheit« gegenüber. Und das ist, was Funktionäre, Abgeordnete und ihren Anhang angeht, vermutlich keine falsche Beschreibung der Verhältnisse in der von regierungslinken Profis beherrschten Hauptstadt-Linken. Angesichts dieser Konstellation hatte der Tagesspiegel am Donnerstag vorab voller Erwartung geschrieben, Wagenknecht werde »zum Ziel linken Protests« werden.
Das klappt am Abend indes nicht recht: Rund 150 Meter von der kleinen Bühne entfernt haben sich, beäugt von ein paar Polizisten, sechs oder sieben Leute aus jenem auf »antifaschistisch« frisierten Spektrum eingefunden, das sich im vergangenen Jahr darauf spezialisiert hat, am Rande von linken Veranstaltungen aufzutauchen, bei denen mit ein paar kritischen Worten zur NATO zu rechnen ist. Sie begleiten die Wagenknecht-Rede mit einer bizarr wirkenden Schreiperformance.
Die Abgeordnete macht in ihrer Rede keine Werbung für die »Berliner Linke«, sondern bittet um Erststimmen für die Kandidaten des einladenden Bezirksverbandes Alexander King und Friederike Benda. Wagenknecht spricht auch nicht zur Berliner Landespolitik, sondern zum Komplex Krieg und Teuerungskrise. »Krieg ist ein Verbrechen«, man verurteile alle Kriege, »egal, ob sie von Russland, egal, ob sie von den USA ausgehen«. Sie wünsche sich, dass »wir in Deutschland wieder eine starke Friedensbewegung bekommen, und zwar eine starke und große Friedensbewegung«. In der Regierung säßen »Kriegsnarren«; die Rüstungs- und Waffenlobbyisten liefen »zur Hochform« auf.
Man beende einen Krieg nicht, indem man immer mehr Waffen liefere; es brauche statt dessen Druck, um eine Verhandlungslösung zu finden, so Wagenknecht. Es gehe bei dem Krieg in der Ukraine nicht um »Werte«. Dort kämpfe der »korrupte russische Oligarchenkapitalismus gegen den korrupten ukrainischen Oligarchenkapitalismus, der von den USA unterstützt wird«. Wagenknecht sprach sich einmal mehr gegen die »unsäglichen Wirtschaftssanktionen« aus. Das sei ein »Wirtschaftsprogramm, das Interessen bedient«, und diese Interessen säßen »in den USA«. Es sei »bescheuert«, »Politik für die US-Wirtschaft zu machen«. Um die explodierenden Preise kümmere sich die Regierung nicht. Wagenknecht forderte unter anderem einen bundesweiten Mietpreisdeckel. Dafür und für andere Dinge brauche man indes »Druck von der Straße«.
Klaus Lederer, Spitzenkandidat der »Berliner Linken«, gab unterdessen dem Journalisten Tilo Jung ein Interview, das ebenfalls am Donnerstag veröffentlicht wurde. Angesprochen auf Wagenknecht, sagte Lederer, die Bundestagsabgeordnete trage »nicht unbedingt bei« zu den »Erfolgen«, die man als Landesverband »hinbekommen« habe. Wagenknecht versuche, an Stimmungen anzuknüpfen, »die ich nicht für progressiv, die ich nicht für links halte«. Menschen, die »Täter-Opfer-Umkehr in bezug auf den Ukraine-Krieg betreiben und die Sanktionen mit Blick auf die Wirtschaftsinteressen des deutschen Volkes in Frage stellen«, würden »keine linken Positionen vertreten«. Lederer bekräftigte anschließend, dass er Waffenlieferungen an die Ukraine befürworte.
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Was ist daran links, nach den Erfahrungen zweier Weltkriege, nach den Mordaufrufen und Mord an Luxemburg und Liebknecht, nach dem Faschismus und seinem Krieg wie aller Geschichte? Was unterscheidet einige Linke-PolitikerInnen noch von christlich-pazifistischer-kriegstreiberischer Politik der Ampelregierung, die sich grün, pazifistisch, antirassistisch verstanden wissen wollen oder wollten und doch nur von blindem Russen- und Völkerhass, Kriegsgeilheit getrieben sind. Wenn es noch gelingen sollte einen dritten Weltkrieg zu stoppen, dann wird sich die friedliebende Menschheit ganz gewiss derer wie Wagenknecht erinnern und wird wissen, wer die anderen gewesen sind. Wünschen wir uns in einer Zeit, in der die Masken fallen, die Wahrheiten ans Licht gelangen, dass die friedliebende Mehrheit aufsteht, ihren Friedenswillen diesen Regierenden deutlich nahebringt.
Wer verhindert eine Friedenslösung, wer hat sie bisher boykottiert, wer steht dem Frieden im Wege? Welche Ziele verfolgen sie? Fordern wir alle darauf die Antwort der Regierenden.