Hausparty mit Merkelianer
Von Ken Merten
Schön blöd: Da ist man also auch noch daheim, abseits der Öffentlichkeit, links. Der Iro ist nicht abnehmbar, und Protestsongs hörste nicht nur, wenn sie knarzend aus dem Demolauti plärren. Das kann schnell langweilig werden. »Is anybody listening?« fragen Anti-Flag in ihrem schmissigen Song »Laugh. Cry. Smile. Die.« vom neuen Album »Lies They Tell Our Children«. Sich rückversichern, das kennt man: »Is anybody listening?«, das fragten 2007 schon andere Melodic-Punker und Exlabelkollegen bei Fat Wreck Chords: Strung Out, mit »Calling«, auf der LP »Blackhawks Over Los Angeles«.
Es kann ja echt sein: Du machst Musik, und niemand hört zu. Es gibt ja so vieles. Als Anti-Flag releasten, kam am gleichen Tag das drölfzigste Album vom unkaputtbaren Iggy Pop raus, »Every Loser«. Ein Album, so grobfaserig wie Iggys Oberkörperstruktur, rauher als die mittlerweile sehr glattgeschmirgelten vier People aus Pittsburgh. Iggy sagt, und da lügt er unsere Kinder nicht an, »I’m a neo punk«.
Apropos »Every Loser«: Nicht nur Loser, aber fast jeder konnte mitmachen beim zwölften Langspieler von Anti-Flag. Die Bündnispolitik dabei ist leger: Jesse Leach vom Everybody’s Darling des Metalcore, Killswitch Engage, darf ebenso mitsingen wie Shane Told von Silverstein. Anderes Personal ist da vom eigenen Machwerk her politischer per definitionem: Rise-Against-Sänger Tim McIlrath, Brian Baker (Bad Religion) oder Stacey Dee von Bad Cop/Bad Cop.
Platz ist ja: Justin Sane, Pat Thetic, Chris Head und Chris #2 bewohnen seit kurzem ein Haus, das die Band zum Wohnen und Proben gekauft hat. »The house created by their greed / Is not the goddamn home that we need«, ist die Erklärung dazu im Kehrreim des Songs »Only in My Head«. Die Altpunkbude steht in einer Stadt mit Problemen: »Wenn ich Leute sagen höre, dass es in der Ukraine Nazis gibt, kann ich nur sagen: Bestimmt nicht so viele wie im Police Department von Pittsburgh«, sagte Chris #2 Ende letzten Jahres dem Musikmagazin Visions. Leck mich, sind das viele Faschos, denen sie auch auf dem Album einen Strauß Stinkefinger widmen: »Fuck the Pittsburgh Police!« rufen sie im ersten Track »Sold Everything«. Visions hatte sich in seiner Dezemberausgabe zum 30. Jubiläum von Rage Against the Machines Debütalbum intensiv mit »Musik zum Widerstand« beschäftigt und dabei nicht nur Anti-Flags 20 Jahre altes »The Terror State« neu besprochen, sondern auch Justin Sane und Chris #2 zur Protestmusikschau geladen. Über N.W.A. wurde da gequasselt, auch über War on Women. Chris #2 sagte unter anderem Feinstes: »Wenn Bob Dylan die Texte für Limp Bizkit geschrieben hätte, wären sie eine unglaubliche Band, aber so …« Lol, wirklich unglaublich.
Fred Durst ist dementsprechend auch nicht eingeladen bei der Hausparty »Lies They Tell Our Children«, Bob Dylan hatte vielleicht keinen Bock. Von der Ersatzbank kommt aber nichts Gutes: Angela Merkels unnötigster Jubelperser nach Juli Zeh, Campino, der eigentlich alles, was Anti-Flag da gegen Imperialismus und Militarismus hat, genau andersrum sehen dürfte. Na ja, »Victory or Death (We Gave ’Em Hell)« mit dem Merkelianer klingt dann auch nach spröden Weihnachten – ja, schon klar, das sollen wohl Gaelic-Punk-Anleihen sein. »When the world starts burning / Ring the bell, ring the bell / We can say, we can say / We were there when it fell«, sing ich jedenfalls nächstes Mal unterm Tannenbaum, wenn mich Knecht Ruprecht zu einem Ständchen auffordert. Wenn ich mich bis dahin an diesen Albumtiefpunkt noch erinnere. »You may be buried in a grave / That is marked with no name / But I’ll be thrown down in a hole / Just the same.« Die Namen der Linken: Dem Musikvideo nach sind die, die man ohne Grabsteininschrift eingebuddelt hat oder die hinweislos abgewrackt werden und bei denen es dementsprechend schwer ist, sie sich zu merken, unter anderen Ai Weiwei und Hannah Arendt. Fragt sich nur, ob es im Westen noch eine »Kunst«-Ausstellung ohne den Namen von ersterem gibt, oder ein Institut, das nicht nach zweiterer benannt ist. Wahrscheinlich genausowenig wie eine Dummheit, die der Frontmann der Toten Hosen noch nicht in ein Mikrofon gesabbelt hat.
Aber hobbylinks ist, wer dafür gleich »Lies They Tell Our Children« in Gänze recycelt. Sonst ist es schon – ganz unpolitisch gesprochen – fetzig. Und das kann man nicht von allem sagen, was so passiert. Strung Out und Iggy Pop können ja nicht jedes Album herstellen.
Anti-Flag: »Lies They Tell Our Children« (Spinefarm/Universal)
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