Wie es zum Absturz von Yeti-Airlines-Flug 691 kam
Von Thomas Berger
Flugzeugunglücke sind in Nepal nicht selten, aber der Absturz einer ATR 72-500 der Yeti Airlines in Pokhara am vergangenen Sonntag war das schlimmste seit Jahrzehnten. 69 der 72 Insassen wurden tot aus den Trümmern geborgen, drei gelten weiter als vermisst. Überlebenschancen sahen die Behörden am Mittwoch nicht mehr. Stimmenrekorder und Flugdatenschreiber konnten geborgen werden. Die Auswertung soll bei der Klärung der Ursachen helfen. Die Wetterverhältnisse am neuen Flughafen der zweitgrößten Stadt Nepals scheiden als Grund wohl aus. Wie die Kathmandu Post mitteilte, änderten die Piloten kurz vor dem Ziel des Fluges YT691 von Kathmandu nach Pokhara die Anflugrichtung. Die Maschine setzte aus westlicher Richtung zur Landung an, bevor sie über die linke Tragfläche kippte. »Der Flughafen wurde am 1. Januar überhastet in Betrieb genommen«, zitierte die Kathmandu Post einen Insider. »Die Flugvermessung, die alle Einrichtungen des neuen Flughafens testet, hat eine Landung aus Westen nicht empfohlen.« Eine Veröffentlichung der offiziellen Anflugverfahren aus Westen in den Handbüchern stand demnach noch aus.
Das Thema Flugsicherheit in der Himalayarepublik gewinnt angesichts einer deutlichen Zunahme des inländischen Flugverkehrs in jüngster Zeit an Brisanz. Im Jahr 2021 gab es mit 3,4 Millionen Passagieren auf diesen Verbindungen ein Rekordergebnis, für 2022 weist der Tribhuvan-Flughafen in der Hauptstadt Kathmandu 3,92 Millionen von den kleinen Flugplätzen landesweit ankommende Passagiere aus, eine neue Höchstzahl. Rund 20 Fluggesellschaften sind auf diesen Verbindungen unterwegs.
Flughäfen kleinerer Destinationen als Pokhara bieten noch deutlich schlechtere Bedingungen. Generell ist das Fliegen in der Nähe des höchsten Gebirges der Welt eine Herausforderung. Schon in Kathmandu verlangt die für die Höhenlage von knapp 1.400 Metern über dem Meeresspiegel relativ kurze Start- und Landebahn Piloten einiges ab. Die kleinen Flugplätze der Orte im Gebirgsgürtel warten mit noch größeren Herausforderungen auf. Hinzu kommt, dass sich das Wetter in den Bergen sehr kurzfristig ändern kann. Auch Verwirbelungen in den Luftströmungsbändern, die durch die hohen Gipfel entstehen, sind gefährlich.
Der Anstieg der Passagierzahlen ist zum einen auf die Erholung der für Nepal bedeutenden Tourismusindustrie nach harten Coronazeiten zurückzuführen. Es gibt aber auch eine wachsende einheimische Mittelschicht, die einer acht- bis 17-stündigen Busfahrt von Kathmandu zu anderen Orten einen vielleicht anderthalbstündigen Flug vorzieht, weil die Preise für diese Gruppe bezahlbar sind. Der größte Teil der Bevölkerung ist allerdings noch nie auch nur in die Nähe eines Flugzeugs gekommen.
Yeti Airlines, einer der drei größten Anbieter von Inlandsflügen, ist die Muttergesellschaft von Tara Air. Erst am 29. Mai vergangenen Jahres war eine DHC-6-300-Maschine dieses Firmenverbunds kurz nach dem Start in Pokhara abgestürzt, damals noch auf dem alten Flughafen der Stadt. 22 Menschen starben. Als 2016 eine DHC-6-400 der Airline an einer Bergwand zerschellte, gab es 23 Tote.
Seit 1955 gab es in Nepal 104 schwere Flugzeugunglücke mit insgesamt 914 Toten. Wegen Sicherheitsbedenken stehen nepalesische Airlines auf einer schwarzen Liste der EU-Kommission, dürfen also nicht in die EU fliegen. Flugrevue.de wies am Mittwoch aus gegebenem Anlass auf »die Doppelfunktion der nepalesischen Zivilluftfahrtbehörde CAAN« hin, »die als Aufsicht fungiert, zeitgleich aber mit der kommerziellen Entwicklung der nepalesischen Luftfahrt betraut ist«. Der neue Flughafen in Pokhara, Ausgangspunkt vieler Expeditionen, gilt bei dieser Entwicklung als Leuchtturmprojekt.
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