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Aus: Ausgabe vom 20.01.2023, Seite 9 / Kapital & Arbeit
EU-Subventionen

Keine Weltmacht

EU will sich mit Industrieplan in den Kreis der großen Player katapultieren. Das wird nichts
Von Sebastian Edinger
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»Größter Wandel aller Zeiten«: EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen am Dienstag in Davos

Wenn vielversprechende Märkte entstehen, noch dazu solche mit strategischer Bedeutung, nehmen Großmächte viel Geld in die Hand, um sich dort zu positionieren. Die chinesische Führung hat die herausragende Rolle grüner sowie digitaler Technologien längst erkannt und mobilisiert Jahr für Jahr enorme Investitionssummen. Die US-Administration zieht seit dem jüngsten Personalwechsel im Oval Office nach – siehe Inflation Reduction Act (IRA). Nun macht auch die Europäische Union einen auf Großmacht. Beim Weltwirtschaftsforum in Davos kündigte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Dienstag einen »neuen Industrieplan« an, der die EU zum »Weltmarktführer« bei grünen Technologien und Innovationen machen soll.

Was soll rein?

Denn, so wusste die frühere Bundeskriegsministerin in den schweizerischen Alpen pathetisch zu berichten: »In den nächsten Jahrzehnten werden wir den größten industriellen Wandel unserer Zeit erleben – vielleicht sogar aller Zeiten«. Und diejenigen, »die die Technologien entwickeln und herstellen, die das Fundament der Wirtschaft von morgen bilden, werden den größten Wettbewerbsvorteil haben.« So weit, so richtig. Nur: An die EU wird dieser Vorteil allen Industrieplänen zum Trotz nicht gehen.

Das Staatenkartell hat schlicht nicht das Zeug zu großen politischen Sprüngen, und damit erst recht nicht zur Großmacht. Zu unterschiedlich sind die wirtschaftlichen Strukturen und die wirtschafts- und finanzpolitischen Prioritäten der Mitgliedstaaten, zu einflussreich das investitionsscheue BRD-Kapital, zu neoliberal und wettbewerbsorientiert die vertraglichen Grundlagen und zu stark der imperialistische Druck aus Washington. Details zum Industrieplan will die Kommission Ende des Monats präsentieren, um dann darüber mit Rat und Parlament zu verhandeln.

Was soll rein in den Plan? Der Rede von der Leyens auf dem Weltwirtschaftsforum nach sind das in erster Linie Erleichterungen für staatliche Beihilfen, wie sie ohnehin längst und kontrovers diskutiert werden. Denn »damit die europäische Industrie attraktiv bleibt, ist es notwendig, mit den Angeboten und Anreizen außerhalb der EU mitzuhalten«, so die Kommissionspräsidentin mit Blick auf chinesische Investitionsprogramme und den Hunderte Milliarden schweren IRA. Es müsse mehr öffentlich gefördert werden, und es brauche zusätzliche EU-Gelder. Allerdings weiß auch von der Leyen, dass die Spielräume für Beihilfen begrenzt sind, sollen die wirtschaftlich schwächeren Mitgliedstaaten nicht noch weiter abgehängt werden, und dass kollektive Investitionen stets auf den Widerstand der BRD und anderer nördlicher EU-Staaten stoßen.

Zwar sprach auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Mittwoch in Davos viel von Investitionen, meinte aber vor allem solche, die von außerhalb der EU kommen und zunächst die deutsche Wirtschaft stützen. Mittelfristig soll es laut von der Leyen jedenfalls einen Souveränitätsfonds geben, aus dem EU-weit strategische Investitionen gestemmt werden. Wie voll der wird, wer ihn füllt, und wer über die Mittelvergabe entscheidet, ist aber noch offen. Ob dafür gemeinsame Schulden aufgenommen werden können, ebenso. Das sei Verhandlungssache, meint die Kommissionschefin. Jetzt arbeite man erst mal an einer Bedarfsanalyse. Weitere Unterstützung sollen die Anbieter von Windkraftanlagen, Wärmepumpen, Solarenergie und grünem Wasserstoff zudem in Form von »Bürokratieabbau« erhalten.

Der Hegemon im Block

Absehbar ist, dass sich der Industrieplan am Ende langer Verhandlungen EU-like als fauler Kompromiss aus kleinen, aber groß verpackten, inkonsistenten Maßnahmen präsentieren wird. Und dass dabei sorgsam darauf geachtet werden wird, weder der Führung in Washington noch jener in Beijing ans Bein zu pinkeln. Am Ende bleiben die USA – nüchtern betrachtet – eben der Hegemon im eigenen Block, dem es sich unterzuordnen gilt. Und die vielzitierte Unabhängigkeit von China ist in so weiter Ferne, dass man sich auch hier nicht allzu laut zu stänkern traut.

Es bleibt abzuwarten, welche Details die Kommission noch aus dem Hut zaubern wird und wie sich dann die anschließenden Diskussionen gestalten. Vorwegnehmen kann man wohl: Das heißersehnte Katapult, mit dem sich die EU auf der politischen Weltbühne in die vorderste Reihe befördern will, wird es nicht werden.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (20. Januar 2023 um 11:16 Uhr)
    Die Stimmung ist bedrückend, der Krieg und globale Krisen dominieren das Weltwirtschaftsforum in Davos. Autokratischer Staaten wie China und Russland setzen angeblich die liberaldemokratischen Gesellschaften unter Druck. Es herrscht Wirtschaftskrieg und immer mehr Staaten entdecken die Subventionen als Wunderwaffe u. a. auch die USA! Es tut aber nichts, weil von der Leyen – die EU-Spitzenstrategen hat – wie Egon Olsen immer ein Plan. Ursula entdeckt die Planwirtschaft: »In den nächsten Jahrzehnten werden wir den größten industriellen Wandel unserer Zeit erleben – vielleicht sogar aller Zeiten«, erklärte sie. Ihrer Einschätzung nach ist es dafür notwendig, die Regeln für staatliche Förderung zu lockern. Zudem müssten aber auch zusätzliche EU-Mittel bereitgestellt werden. Musterbeispiel: China beispielsweise ermutige energieintensive Unternehmen mit dem Versprechen billiger Energie, niedriger Arbeitskosten und eines laxeren Regelungsumfelds, ihre Produktion ganz oder teilweise dorthin zu verlagern, erklärte von der Leyen. Gleichzeitig subventioniere das Land seine Industrie stark und beschränke den Zugang zum chinesischen Markt für EU-Unternehmen. Von China lernen heißt Siegen lernen!

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