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Aus: Ausgabe vom 19.01.2023, Seite 7 / Ausland
Bauen und schmieren

Rechtsstaat am Abgrund

Guatemala: Haftbefehle gegen Korruptionsermittler. Auch kolumbianischer Minister im Visier
Von Thorben Austen, Quetzaltenango
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Neuestes Opfer der Jagd auf Linke: Kolumbiens Verteidigungsminister Iván Velásquez (Bogotá, 4.1.2023)

In Guatemala wird die »Sonderstaatsanwaltschaft gegen Straflosigkeit« (FECI) nicht müde, Korruptionsbekämpfer vor den Kadi zu ziehen. Am Montag stellte sie neue Haftbefehle gegen mehrere Personen aus, die mit Ermittlungen wegen Korruptionsvorwürfen rund um das brasilianische Bauunternehmen Odebrecht befasst waren. Betroffen seien nach Presseangaben die ehemalige Generalstaatsanwältin Thelma Aldana (mittlerweile im US-Exil), Mayra Véliz (2015 bis 2018 Generalsekretärin der Staatsanwaltschaft) und David Gaitán (2015 bis 2019 Präsident der UN-Kommission gegen Straffreiheit, CICIG). Ebenfalls im Visier der Ermittlungen: Iván Velásquez. Der aktuelle Verteidigungsminister in der Regierung des linken Präsidenten Gustavo Petro in seinem Heimatland Kolumbien war von 2013 bis zum Ende der Kommission 2019 Chefermittler der CICIG in Guatemala.

Allen werden vom aktuellen Leiter der FECI, Rafael Curruchiche, »Behinderung der Justiz, Verschwörung und Amtsmissbrauch«, vorgeworfen im Zusammenhang mit der »Untersuchung der Bestechungsgelder, die das brasilianische Unternehmen Odebrecht in Guatemala tätigte«, hieß es am Dienstag beim Onlineportal Prensa Comunitaria. Am Montag hatten Medien noch berichtet, auch gegen Velásquez sei von Guatemala aus ein internationaler Haftbefehl ausgestellt worden. Petro reagierte prompt: »Ich werde niemals den Haftbefehl gegen unseren Minister Velásquez akzeptieren. Er hat bewiesen, dass er die Korruption bekämpft hat, und wir werden nicht zulassen, dass ihn die Korruption verfolgt«, schrieb der Staatschef am Montag abend auf Twitter und kündigte an, den kolumbianischen Botschafter umgehend zu Beratungen zu rufen. Am Dienstag erklärte Curruchiche dann, gegen Velásquez werde lediglich ermittelt, um ihn »für seine illegalen, willkürlichen und missbräuchlichen Handlungen zur Rechenschaft zu ziehen«.

Jahrelang schmierte der Baukonzern Odebrecht Politiker und Beamte in Lateinamerika, um an lukrative Aufträge zu kommen. Die Ermittlungen bezüglich Guatemala begannen Staatsanwaltschaft und CICIG im Januar 2018. Sie bezogen sich auf mutmaßlich gezahlte Bestechungsgelder für den Auftrag der Verlängerung der Schnellstraße »CA-2« im Südwesten Guatemalas. Im Visier der Ermittler stehen besonders Alejandro Sinibaldi – in der Regierung des rechten Staatschefs Otto Pérez Molina von 2011 bis September 2014 Minister für Kommunikation, Infrastruktur und Wohnungsbau –, der in verschiedenen Fällen über 100 Millionen Quetzal (damals gut zehn Millionen Euro) angenommen haben soll, sowie Manuel Baldizón, 2011 und 2015 Präsidentschaftskandidat der mittlerweile aufgelösten rechten Partei Libertad Democrática Renovada. Auch die 108 Abgeordneten, die am 11. Oktober 2011 im Parlament das Bauvorhaben bewilligten, sollen laut Prensa Comunitaria mit »Bestechungsgeldern begünstigt« worden sein. Baldizón und Sinibaldi saßen in Haft, beide sind mittlerweile wieder frei, zuletzt wurde Baldizón am vergangenen Mittwoch auf Kaution freigelassen. Velásquez gilt seit den Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Zollbetrugsverfahren »La Línea« gegen Pérez Molina und seine Vize Roxana Baldetti, beide im Dezember 2022 zu einer Haftstrafe verurteilt, in breiten Bevölkerungskreisen als »Volksheld«.

Das Bemühen um eine unabhängige Justiz wird dabei – insbesondere seit dem erzwungenen Ende des CICIG-Mandats 2019 – systematisch zurückgedrängt. Die als »Pakt der Korrupten« bekannten herrschenden Kreise führen einen regelrechten »Rachefeldzug« gegen diejenigen, die sich in den vergangenen Jahren unter anderem mit Ermittlungen wegen Korruption bei dem »Pakt« unbeliebt gemacht haben, wie der in Guatemala lebende deutsche Anwalt Miguel Mörth im Dezember im jW-Interview ausführlich erläuterte. Mittlerweile seien entscheidende Positionen im Justizwesen mit Juristen besetzt, die willfährig gegenüber dem »Pakt der Korrupten« agieren. Zu diesen muss auch Curruchiche gezählt werden, der die aktuellen Ermittlungen unter anderem gegen Velásquez leitet. Sein Name findet sich selbst auf der sogenannten Engel-Liste, mit der die US-Regierung seit 2020 »korrupte« und »antidemokratische« Personen aus der Region führt.

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