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Aus: Ausgabe vom 18.01.2023, Seite 8 / Ansichten

Kampf geht weiter

Besetzungen im Rheinischen Kohlerevier
Von Wolfgang Pomrehn
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Polizisten transportieren einen verletzten Demonstranten ab (Lützerath, 14.1.2023)

Es ist wirklich schwer verdaulich, was da am Wochenende im Rheinischen Braunkohlerevier zwischen Aachen und Köln geschah. Nicht nur das Ausmaß der Polizeigewalt gegen größtenteils gewaltfreie und ungeschützte Demonstrantinnen und Demonstranten. Nicht nur die Zerstörungswut der Beamten oder die Nonchalance, mit der nach Berichten der Betroffenen das Leben von Menschen in den Baumhäusern und auf Pfahlkonstruktionen gefährdet wurde. Sondern dass all das geschieht, um wertvollen Ackerboden zu zerstören und den dreckigsten aller fossilen Energieträger aus der Erde zu buddeln. Und das rund 34 Jahre nachdem erstmalig ein Bericht einer Bundestagsenquetekommission umfangreich die Ursachen und Gefahren des Klimawandels aufgezeigt hatte und fast 31 Jahre nach Unterzeichnung der Klimaschutzrahmenkonvention auf dem großen Erdgipfel in Rio de Janeiro.

Doch NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU), der im Hitzesommer 2018 schon den illegalen Polizeieinsatz im nahegelegenen Hambacher Forst zu verantworten hatte, bei dem seinerzeit ein Videojournalist starb, wirft den prominenten Aktivistinnen Luisa Neubauer und Greta Thunberg vor, sich nicht von den »Radikalen« abzugrenzen. Wobei »radikal« für Reul jeder zu sein scheint, der eine Polizeiabsperrung umgeht, um direkt in Lützerath oder an der Tagebaukante gegen die Räumung zu protestieren. Dem kann man nur mit UN-Generalsekretär António Guterres entgegenhalten: »Die gefährlichen Radikalen sind in Wirklichkeit jene Länder, die die Produktion fossiler Brennstoffe steigern.«

Dem Vernehmen nach hat RWE die Räumung hinter vorgehaltener Hand nicht zuletzt politisch begründet. Die Protestierer dürften nicht ermutigt werden, sonst sei womöglich auch andernorts mit Blockaden zu rechnen. An diesem Punkt hat man sich ganz offensichtlich verrechnet. Schon am Montag wurde im Rheinischen Revier einer der riesigen Braunkohlebagger besetzt. Weitere folgten am Dienstag. Außerdem wurde eine Werkbahn, die das im selben Revier stehende Braunkohlekraftwerk Neurath versorgt, mit einer Sitzblockade gestört und mit einer ebensolchen der Zufahrt des Tagebaus Garzweiler II dichtgemacht. Solidaritätsaktionen gab es auch andernorts, zum Beispiel in Berlin, wo Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der »Scientist Rebellion« den Eingang der nordrhein-westfälischen Landesvertretung blockierten und Kohlestücke verteilten.

Alles sieht danach aus, als ob die Räumung nicht der Endpunkt, sondern ein neuer Höhepunkt der Klimaschutzbewegung gewesen ist, und das wäre auch bitter nötig. Der Klimawandel macht keine Pause. Allein im vergangenen Hitzesommer sind in West- und Südeuropa über 100.000 Menschen gestorben. Und das ist erst der Anfang. Der Kampf um Klimagerechtigkeit ist dringender denn je.

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  • Leserbrief von Bernhard May aus Solingen ( 1. Februar 2023 um 14:24 Uhr)
    Wichtig und verdienstvoll ist, dass Wolfgang Pomrehn einen zentralen Akteur des Bürgerkriegs in NRW um Lüzerath und die Pariser Klimaziele beim Namen nennt: den »Innenminister« von NRW, Herbert Reul (CDU). Der Stammtischkrawallbruder aus Leichlingen war schon während der gesamten Ära Laschet im Amt – Laschet war tatsächlich MP in NRW, später auch mal Jahres-CDU-Chef wie AKK und Merz, kurioserweise Kanzlerkandidat, amüsiert sich besonders an Hochwasserkatastrophen und ist aktuell RAG-Mensch ohne demokratische Legitimation. Die dunkle Zeit in NRW missbrauchte Reul u. a., um die Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamt:innen abzuschaffen – und verhöhnt heute Opfer der Polizeigewalt, die könnten ja Anzeigen erstatten! Weiter missbrauchte Reul die Ära Laschet, um das in NRw einst sehr rechtsstaatlich-ausgleichende Polizei- und Ordnungsrecht durch ein diktaturkompatibles Polizeigesetz mit unklaren Rechtsbegriffen (»Gefährder«!) zu ersetzen, um ein Versammlungsrecht einzuführen, das die Organisation von Demonstrationen erheblich behindert und damit Verfassungsrecht antastet. Und unter Laschet Nachfolger Wüst (CDU) machte Reul dreist weiter, obwohl er mit 70 Jahren längst pensioniert gehört – und die »Grünen« verstehen sich inzwischen ähnlich der FDP als Antibürgerrechtspartei, solch einem CDU-Berserker auch noch die Stange zu halten! Nun also überzieht der Umweltfrevler Reul die Region Erkelenz mit unbeschreiblichem Terror. Meine Hoffnung besteht darin, dass die Nachricht, dass Greta Thunberg in NRW-Polizeigewahrsam geriet, im Eiltempo um die Erde laufen möge – und schon fliegt der greise Marcus-Cato-Darsteller Reul achtkantig aus der Landesregierung! Und tschüss!
    Solange Reul aber am Amt kleben zu müssen glaubt, müssen sich alle meine Mitbürger:innen in NRW schämen, diesen Skandal noch länger zu erdulden. Persönlich nutzte ich alle Landtagswahlen (2000 bis 2022), um gegen Reuls CDU zu stimmen. Das werdem später alle sagen wollen – wenn auch nicht alle ganz reinen Herzens.
  • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (18. Januar 2023 um 19:29 Uhr)
    »Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt.« – Trotz alledem! Oder gerade deswegen, denn was bleibt den uns folgenden Generationen auch sonst übrig, wenn sie (über)leben wollen?

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