Kampf geht weiter
Von Wolfgang Pomrehn
Es ist wirklich schwer verdaulich, was da am Wochenende im Rheinischen Braunkohlerevier zwischen Aachen und Köln geschah. Nicht nur das Ausmaß der Polizeigewalt gegen größtenteils gewaltfreie und ungeschützte Demonstrantinnen und Demonstranten. Nicht nur die Zerstörungswut der Beamten oder die Nonchalance, mit der nach Berichten der Betroffenen das Leben von Menschen in den Baumhäusern und auf Pfahlkonstruktionen gefährdet wurde. Sondern dass all das geschieht, um wertvollen Ackerboden zu zerstören und den dreckigsten aller fossilen Energieträger aus der Erde zu buddeln. Und das rund 34 Jahre nachdem erstmalig ein Bericht einer Bundestagsenquetekommission umfangreich die Ursachen und Gefahren des Klimawandels aufgezeigt hatte und fast 31 Jahre nach Unterzeichnung der Klimaschutzrahmenkonvention auf dem großen Erdgipfel in Rio de Janeiro.
Doch NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU), der im Hitzesommer 2018 schon den illegalen Polizeieinsatz im nahegelegenen Hambacher Forst zu verantworten hatte, bei dem seinerzeit ein Videojournalist starb, wirft den prominenten Aktivistinnen Luisa Neubauer und Greta Thunberg vor, sich nicht von den »Radikalen« abzugrenzen. Wobei »radikal« für Reul jeder zu sein scheint, der eine Polizeiabsperrung umgeht, um direkt in Lützerath oder an der Tagebaukante gegen die Räumung zu protestieren. Dem kann man nur mit UN-Generalsekretär António Guterres entgegenhalten: »Die gefährlichen Radikalen sind in Wirklichkeit jene Länder, die die Produktion fossiler Brennstoffe steigern.«
Dem Vernehmen nach hat RWE die Räumung hinter vorgehaltener Hand nicht zuletzt politisch begründet. Die Protestierer dürften nicht ermutigt werden, sonst sei womöglich auch andernorts mit Blockaden zu rechnen. An diesem Punkt hat man sich ganz offensichtlich verrechnet. Schon am Montag wurde im Rheinischen Revier einer der riesigen Braunkohlebagger besetzt. Weitere folgten am Dienstag. Außerdem wurde eine Werkbahn, die das im selben Revier stehende Braunkohlekraftwerk Neurath versorgt, mit einer Sitzblockade gestört und mit einer ebensolchen der Zufahrt des Tagebaus Garzweiler II dichtgemacht. Solidaritätsaktionen gab es auch andernorts, zum Beispiel in Berlin, wo Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der »Scientist Rebellion« den Eingang der nordrhein-westfälischen Landesvertretung blockierten und Kohlestücke verteilten.
Alles sieht danach aus, als ob die Räumung nicht der Endpunkt, sondern ein neuer Höhepunkt der Klimaschutzbewegung gewesen ist, und das wäre auch bitter nötig. Der Klimawandel macht keine Pause. Allein im vergangenen Hitzesommer sind in West- und Südeuropa über 100.000 Menschen gestorben. Und das ist erst der Anfang. Der Kampf um Klimagerechtigkeit ist dringender denn je.
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vom 18.01.2023
Solange Reul aber am Amt kleben zu müssen glaubt, müssen sich alle meine Mitbürger:innen in NRW schämen, diesen Skandal noch länger zu erdulden. Persönlich nutzte ich alle Landtagswahlen (2000 bis 2022), um gegen Reuls CDU zu stimmen. Das werdem später alle sagen wollen – wenn auch nicht alle ganz reinen Herzens.