»Wir wollten Geisel Nachhilfe geben«
Von Jan Greve
Andrej Holm ist Sozialwissenschaftler an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er forscht zu Wohnungspolitik und ist seit vielen Jahren in stadtpolitischen Bewegungen aktiv
Die Vergesellschaftung von Wohnungen senkt die Miete: Unter dieser Überschrift wurde in der vergangenen Woche eine Studie veröffentlicht, die Sie gemeinsam mit Matthias Bernt im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung erarbeitet haben. Demnach würden die Mieten in den Berliner Wohnungen, die vergesellschaftet werden sollen, um durchschnittlich 16 Prozent sinken. Wie kommt diese Zahl zustande?
Wir haben die Daten von über 220.000 Wohnungen der sechs größten Immobilienkonzerne untersucht. Dabei haben wir unterstellt, dass diese Bestände nach der Vergesellschaftung gemäß den Kriterien bewirtschaftet werden, wie sie schon jetzt für die landeseigenen Wohnungsunternehmen gelten. In der Studie haben wir dann die Höhe der durchschnittlichen Bestandsmieten der Konzerne mit denen der landeseigenen Wohnungsunternehmen verglichen. Die Differenzen fallen dabei sehr unterschiedlich aus. Bei Akelius/Heimstaden liegt die durchschnittliche Miete mit 9,36 Euro pro Quadratmeter fast drei Euro über den Mieten der öffentlichen Wohnungsbestände. Bei Vonovia mit einer durchschnittlichen Miete von 7,10 Euro pro Quadratmeter würde die Absenkung nur knapp über 70 Cent betragen. Im Durchschnitt dieser Unternehmen würde die Miete um 1,24 Euro pro Quadratmeter abgesenkt werden.
Seitens der Immobilienlobby heißt es stets, bei sinkenden Mieten drohe ein Qualitätsverlust, weil weniger investiert werden könne. Ist da etwas dran?
Wir haben uns in der Studie auch die Investitionen in den Bestand angeschaut. Die landeseigenen, also öffentlichen Unternehmen investieren drei Viertel von den Ausgaben, die sie in die Wohnungen stecken, in Instandhaltung. Das heißt, sie pflegen ihre Bestände in einer Weise, die keine Mieterhöhung zur Folge hat. Nur ein Viertel fließt in Modernisierungsmaßnahmen, bei denen die Kosten teilweise auf den Mieter umgelegt werden können. Bei den sechs von uns untersuchten Konzernen ist das Verhältnis genau umgekehrt: Die investieren drei Viertel ihrer Ausgaben in Modernisierungsmaßnahmen, um danach eine höhere Miete verlangen zu können.
Sie beschäftigen sich seit vielen Jahren mit der Mietenentwicklung und Wohnungsmarktpolitik. Wie sehr haben Sie die Ergebnisse Ihrer Studie überrascht?
Schon seit vielen Jahren fordern Initiativen und Mieterorganisationen eine Rekommunalisierung und Vergesellschaftung, weil Wohnungen in öffentlicher Hand politischen Auflagen unterliegen und keine Profite bringen müssen. Nur der zuständige Berliner Senator für Stadtentwicklung und Wohnen (SPD-Politiker Andreas Geisel, jW) hat davon noch nichts gehört. Kürzlich gab er zu Protokoll, er könne nicht abschätzen, welchen Vorteil die Vergesellschaftung hätte. Da wollten wir ihm ein wenig Nachhilfe geben und mit unserer Untersuchung zeigen, dass man diesen Vorteil sogar berechnen kann – dass es nicht um gefühlte Wahrheiten, sondern um konkrete Zahlen geht. Die 16 Prozent weniger Miete bedeuten im Durchschnitt aller einbezogenen Haushalte eine Entlastung von 78 Euro im Monat. Die würden viele Mieter angesichts steigender Energie- und Betriebskosten sicher sehr begrüßen.
Nebenbei: Die Senatsverwaltung wäre auch aus eigener Kraft in der Lage, sich diese Daten zu beschaffen. Es ist ein Zeichen der Ignoranz gegenüber den Mieterinnen und Mietern, dass die Verantwortlichen auf solch eine Nachhilfe angewiesen sind.
Nachdem im September 2021 mehr als eine Million Berliner beim Volksentscheid zur Vergesellschaftung von großen Immobilienkonzernen mit Ja gestimmt hat, warten die Mieter in der Stadt auf die Umsetzung. Der SPD-geführte Senat rief eine sogenannte Expertenkommission ins Leben und fiel bislang vor allem mit einer Hinhaltetaktik auf. Mit Blick auf Ihre Studie muss man vermuten, dass eine Regierung, die Wohnraum nicht vergesellschaftet, kein Interesse an sinkenden Mieten hat.
Der Senat drückt sich seit den Koalitionsverhandlungen vor einer politischen Entscheidung. Mit der Einrichtung der Expertenkommission wurde der brüchige Koalitionsfrieden um ein Jahr verlängert. Dabei ist klar, dass mit dem Abschlussbericht der Kommission – wie auch immer der ausfallen wird – der Ball wieder zur Politik zurückgespielt wird. Das alles wird nicht leichter dadurch, dass sich in Berlin möglicherweise die politischen Mehrheitsverhältnisse ändern.
Sie spielen auf die Neuwahl des Abgeordnetenhauses am 12. Februar an. Wissen Sie, ob sich Ihre Ergebnisse schon bei den Koalitionspartnern SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Linkspartei herumgesprochen haben? Haben Sie der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey und ihrem SPD-Parteifreund Geisel die Studie direkt zukommen lassen?
Zu den Regierungsverantwortlichen der SPD habe ich keinen direkten Kontakt. Aber ich bin mir sicher, dass auch Geisel und Giffey Zeitungen lesen und in der Lage wären, sich die Studie zu besorgen. Die notorische Ablehnung der Vergesellschaftung zeigt die festgefahrene Ideologie. Statt auf den öffentlichen Wohnungsbau setzt die SPD in Berlin auf eine Kooperation mit Privaten und hofft, dass sich der Markt durch möglichst viele Neubauten entspannt. Bislang geht das nicht auf.
Eigentlich ist es eine Binsenweisheit, dass öffentlicher Wohnungsbau besser als privatwirtschaftlich organisiertes Wohnen ist. In Berlin regeln Gesetze und Kooperationsvereinbarungen die Vermietung und Bewirtschaftung der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. Auch Diskussionen über Mieterräte oder -beiräte, über eine Demokratisierung des Wohnens gibt es nur in diesem Bereich. Der öffentliche Wohnungsbau ist gegenwärtig der einzige Träger für eine soziale Grundversorgung in Berlin.
Der kommende Senat könnte von der Grünen-Politikerin Bettina Jarasch geführt werden. Setzen Sie mehr Hoffnung in deren Partei als in die SPD?
Das ist politische Kaffeesatzleserei. Was wir aber in den vergangenen Jahren beobachten konnten, ist, dass Linkspartei und Grüne sich in vielen Fragen an den Forderungen von mietenpolitischen Bewegungen orientiert haben. Insofern hoffe ich darauf, dass eine neue Konstellation in der Landesregierung die Möglichkeit eröffnet, den Volksentscheid umzusetzen. Da setze ich weniger auf die Grünen als vielmehr auf die Tatsache, dass dann nicht mehr Franziska Giffey an der Senatsspitze stehen würde. Sie hatte schon im Wahlkampf 2021 viele rote Linien beim Thema Vergesellschaftung gezogen. Selbst wenn sie nun realisieren würde, wie vernünftig eine Vergesellschaftung wäre, hätte sie nur die Wahl: Verrate ich die Mieterinnen und Mieter, indem ich das Volksbegehren nicht umsetze, oder verrate ich mich und meine bisherigen Aussagen? Das ist eine mehr als ungünstige Konstellation.
Angesichts Ihrer Studie jubelte die Initiative »Deutsche Wohnen und Co. enteignen«, die den Volksentscheid auf die Beine gestellt hatte. Stört es Sie als Wissenschaftler, wenn Ihre Forschung mit politischen Forderungen verknüpft wird?
Nein, damit kann ich sehr gut leben. Die Auseinandersetzung mit zentralen Fragen unseres Alltagslebens wie dem Wohnen sind unmittelbar mit politischen Entscheidungen verbunden. Als Sozialwissenschaftler freue ich mich, wenn die Themen, zu denen ich arbeite, in der Öffentlichkeit und in der Politik aufgegriffen werden. Dass sich nur einzelne Parteien oder soziale Bewegungen positiv auf Vergesellschaftung beziehen, sagt eher etwas über die politische Landschaft in Berlin aus.
Nicht wenige Wissenschaftler sind der Meinung, Forschung sollte losgelöst von politischen Verhältnissen stattfinden.
Es ist illusorisch zu glauben, dass Wissenschaft von Menschen ohne Interessen betrieben wird. Das Postulat der Werturteilsfreiheit bezieht sich darauf, dass wir unsere Ergebnisse nicht »herbeiwünschen«, sondern sie empirisch nachvollziehbar erarbeiten. Ich habe übrigens noch keine fachliche Kritik an den Zahlen in unserer Studie vernommen. Wenn mit den Ergebnissen diejenigen gestärkt werden, die sich für eine soziale Ausrichtung der Wohnungspolitik einsetzen, dann kann ich daran nichts Schlechtes finden.
Hintergrund: Vergesellschaftung in Berlin
In der Studie »Vergesellschaftung senkt die Miete«, die vergangene Woche vorgestellt wurde, geht es um die »sozialen Effekte einer möglichen Vergesellschaftung von Wohnungen in Berlin«. Gleich zu Beginn wird die Untersuchung in Zusammenhang mit dem Volksentscheid der Initiative »Deutsche Wohnen und Co. enteignen« gestellt. Am 26. September 2021 hatte mehr als eine Million Berliner für das Vorhaben votiert, das waren rund 59 Prozent der abgegebenen, gültigen Stimmen. Mit dem Volksbegehren wurde der Senat aufgefordert, einen Gesetzentwurf »zur Vergesellschaftung der Wohnungsbestände großer Wohnungsunternehmen« zu erarbeiten. Im Text heißt es weiter, die Landesregierung solle alle Maßnahmen einleiten, »die zur Überführung von Immobilien sowie Grund und Boden in Gemeineigentum zum Zwecke der Vergesellschaftung nach Artikel 15 des Grundgesetzes erforderlich sind«. Dies soll Unternehmen mit »Gewinnerzielungsabsicht« treffen, die 3.000 Wohnungen und mehr besitzen. Die Entschädigung, die bei Anwendung des Artikels 15 fällig würde, solle »deutlich unterhalb des Verkehrswerts« angesetzt werden.
In der Studie von Andrej Holm und Matthias Bernt werden drei Effekte der Vergesellschaftung benannt. Erstens würde die Miete für mehr als 200.000 Berliner Haushalte um durchschnittlich 16 Prozent gesenkt. Zweitens hätten Menschen mit geringen oder mittleren Einkommen, die einen sogenannten Wohnberechtigungsschein (WBS) haben, bei der Suche nach einer bezahlbaren Bleibe größere Chancen, fündig zu werden. Erst im Sommer 2022 hatte eine Anfrage des Berliner Linke-Abgeordneten Niklas Schenker an den Senat ergeben, dass nur für jeden zehnten Haushalt in der Hauptstadt, der Anspruch auf eine Sozialwohnung hat, eine solche auch zur Verfügung steht. Der dritte Effekt von Vergesellschaftung: Der »sozialräumlichen Spaltung der Stadt« werde entgegengewirkt. Soll heißen: Die Verdrängung von Menschen mit wenig Geld aus begehrten Innenstadtbezirken an den Rand (Stichwort Gentrifizierung) würde zumindest verlangsamt, weil das Angebot an bezahlbaren Wohnungen auch dort ausgeweitet werden könnte, wo sie am meisten gebraucht werden. (jg)
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Leserbrief von Peter Müller (18. Januar 2023 um 10:29 Uhr)Kindergartenökonomie: Wer soll die Entschädigung zahlen? Das müssten doch die Nutznießer sein. Wie hoch ist heute der Finanzierungskostenanteil in den Preisen? Kredite für Investitionen zum Nullzins? Da dürfte aber keine Inflation sein. Wäre Arbeit sinnvoll verteilt und gerecht bezahlt, bekäme jeder ein kleines Bürgergeld zur Grundsicherung für Lebensmittel und gäbe es preiswerte Energie für Industrie und Wohnen, dann könnte jeder Wohnungsinhaber selber darüber bestimmen, was er modernisieren oder nur reparieren will. Wollte die echte Linke nicht einst die Vergesellschaftung der großen Produktionsmittel? Haben uns die Grünen mit ihren Plänen der Weltherrschaft des US-Imperialismus im Gewand der Klimarettung nicht den Krieg und Inflation gebracht? Die Sozialklempner werfen euch nur Sand in die Augen und suggerieren nur scheinlinke Positionen, damit sie am Katzentisch der Privilegierten weiter den Inflationsausgleich bekommen, der denen, die dieses Land am Laufen halten, nicht gewährt wird! Die Inflation wird Mieten und Preise weiter in die Höhe treiben. Man muss den Kapitalismus und seine Hofschranzen schon richtig abschaffen, sonst rennt ihr weiter mit verklebten Augen gegen die Wand, die durch ökonomische Gesetze der Realität bestimmt wird. Ich bin ein Ökonom, der in Potsdam und Halle zwei Studien durchlaufen hat.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in manfred g. aus Berlin (18. Januar 2023 um 00:20 Uhr)Was ich nicht verstehe, warum wird bei den Mietenproblemen nicht auch von einer Einführung einer Mietpreisbindung gesprochen. Könnte das nicht viele Probleme lösen? Wenn ich mich richtig erinnere, gab es bis in die 1970er Jahre eine Mietpreisbindung für Berliner Altbauten. Warum fehlt diese Lösungsmöglichkeit in den Diskussionen?
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