Gipfel schmilzt ab
Von Jörg Kronauer
Mit weiterhin hoher Beteiligung von Regierungsmitgliedern und Wirtschaftsbossen aus vielen Ländern, aber mit geringerer Präsenz außereuropäischer Spitzenprominenz, ist am Dienstag in Davos das diesjährige Weltwirtschaftsforum (World Economic Forum, WEF) offiziell eröffnet worden. Zu den knapp 2.700 Gästen, die WEF-Gründer Klaus Schwab seit Dienstag früh in den Schweizer Alpen begrüßen kann, zählen 50 Staats- oder Regierungschefs, 56 Finanz- und 30 Handelsminister, 19 Notenbankchefs sowie mehr als 110 Milliardäre. Die Regierungen der USA und Chinas aber, die noch vor wenigen Jahren zuweilen mit ihren Präsidenten vertreten waren, haben dieses Jahr nur weniger einflussreiche Minister entsandt; von den Staats- und Regierungschefs der G7 hat nur Bundeskanzler Olaf Scholz sein Kommen zugesagt. Die russische Regierung nimmt ohnehin nicht teil. Eine klare Mehrheit der Regierungsmitglieder in Davos komme aus Europa, dies in einer Zeit, in der »die globale Macht von dem Kontinent wegsickert«, kommentierte die US-Nachrichtenplattform Axios.
Politisch wurde der WEF-Auftakt von lautstarken westlichen Plädoyers zugunsten der Ukraine dominiert. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte, »Europa« werde »der Ukraine immer zur Seite stehen, so lange wie nötig«. Zudem würden »russische Verbrechen nicht ungestraft bleiben«. Polens Präsident Andrzej Duda forderte einmal mehr die Lieferung westlicher Kampfpanzer an die ukrainischen Streitkräfte; Litauens Präsident Gitanas Nauseda äußerte sich ähnlich. Olena Selenska, die Ehefrau des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij, die persönlich angereist war, warf den nichtwestlichen Anwesenden vor, nicht für Kiew Partei zu ergreifen: »Nicht alle von Ihnen nutzen den Einfluss, den Sie haben.« Ihr Ehemann wird morgen eine Ansprache halten – wohl virtuell. Er hat angekündigt, wie üblich umfassende Waffenlieferungen zu fordern.
Eine der wenigen nichtwestlichen Stimmen, die dieses Jahr in Davos prominent zu Wort kommen, war am Dienstag der scheidende chinesische Vizeministerpräsident Liu He. Liu, dem enge Beziehungen zu Präsident Xi Jinping nachgesagt werden, war bemüht, bei den anwesenden Wirtschaftsbossen um einen Ausbau ihres China-Geschäfts zu werben. Chinas Wirtschaft werde dieses Jahr die Pandemie überwinden, stärker wachsen und sich weiter öffnen, erklärte Liu. Beijing orientiere weiterhin auf eine »sozialistische Marktwirtschaft«, werde dabei aber keine Planwirtschaft anstreben. Letzteres sei »auf keinen Fall möglich«. Beobachter stellten dabei fest, dass der chinesischen Delegation nur wenige Vertreter chinesischer Hightechkonzerne angehören. Russische Milliardäre sind – anders als solche aus anderen europäischen Staaten, den USA und auch Indien – in Davos überhaupt nicht präsent. Über Russlands Zukunft diskutierten auf dem WEF, das unter dem Motto »Zusammenarbeit in einer fragmentierten Welt« steht, EU-Kommissionsvizepräsident Valdis Dombrovskis (Lettland), der tschechische Europaminister Mikulas Bek und zwei Spezialisten britischer Thinktanks.
Erstmals nicht nach Davos gekommen ist in diesem Jahr ein prominenter Stammgast des WEF: George Soros. Der einflussreiche US-Investor hat angekündigt, statt dessen im Februar zur Münchner »Sicherheitskonferenz« nach Europa zu reisen. Militär statt Wirtschaft: Soros’ Entscheidung ist charakteristisch für die derzeitige Zuspitzung der globalen Mächterivalität.
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Leserbrief von Hans Schoenefeldt aus Berlin (18. Januar 2023 um 18:02 Uhr)Sehr bedauerlich, dass ein demnächst Hundertjähriger nicht aus dem Fenster gestiegen ist und für immer das Weite gesucht hat. Er ist zurück und feiert demnächst seinen runden Geburtstag. Henry Kissinger wird im Mai hundert Jahre alt und wurde schon seit Jahren und vor seinem bevorstehenden Geburtstag in Davos entsprechend gewürdigt und durfte als sprechende Legende eine gefeierte Rede über eine »historische Perspektive« halten. Die ihm zu Füßen liegenden bzw. vor den Bildschirmen gebannten Zuhörer taten das, was er von ihnen erwartet hat. Seine Rede erwies sich allerdings als eine Wiederauflage des schon 1945 apostrophierten Zeitalters der Pax Americana bzw. als das des »amerikanischen Jahrhunderts«. Was Kissinger in Übernahme der landläufigen Phrase als »internationale Gemeinschaft« bezeichnet, ist identisch mit der diplomatisch verkleisterten Sprache des gesamten NATO-Westens. Eine Rückkehr Moskaus in diese Gemeinschaft wäre, so der Messias H. K., nur zu den von ihm gepredigten Bedingungen zu haben. Zu diesen gehört, dass sich Moskau der US-Außenpolitik unterwerfe, die seit angeblich 1945 einer friedlichen Welt (?) verpflichtete sei und der sich auch die russische Seite den Diktaten westliche Verpflichtungen gefügig zeigen müsse. Für die jW-Leserinnen und -Lesern lässt sich das noch präziser sagen: Vorwärts nimmer – rückwärts immer.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (17. Januar 2023 um 21:44 Uhr)In Wirklichkeit ist der gesamten Westen nicht anders als nur die Hülle für ein Konglomerat internationaler Konzerne, die diese Länder beherrschen, dominieren und den größten Teil der restlichen Welt ausbeuten. Deren Sprachrohre treffen sich wie alle Jahre wieder in Davos. Man kann an der durch ein Leak veröffentlichten Teilnehmerliste deutlich erkennen, welche Länder faktisch unter der Kontrolle des WEF stehen und ihre Regierungsmitglieder dorthin schicken, von denen viele, bis hin zu Regierungschefs, die Programme des WEF durchlaufen, sich den Zielen des WEF von Klaus Schwab verschrieben haben und diesen Netzwerken des WEF ihre Karrieren verdanken. Zu den zählen die Bosse diverser Großbanken, NGO-Repräsentanten und natürlich zahlreiche Chefredakteure großer Medien sowie Staats- und Regierungschefs von bestimmten Ländern. Somit kann man ebenfalls der Liste deutlich entnehmen, welche Länder dem Einfluss und den Zielen des WEF entgegenstehen, und aus welchen Ländern kein Vertreter anreist. Das Schlimmste dabei ist, als Journalist der Leitmedien zu diesem erlauchten Kreis eingeladen zu werden, da fühlt man sich wohl äußerst geschmeichelt, da wird man wohl kaum eine Ausladung durch zu kritischen Nachfragen riskieren.
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