Hexenjagd auf »Spione«
Von Martin Weiser, Seoul
Seit November sind in Südkorea die Wohnungen und Büros mehrerer linker Aktivisten und Gruppen durchsucht worden – angeblich, um deren Agententägigkeit für den Norden aufzudecken. Am 9. November betraf das gleichzeitig die Wohnungen von sieben Aktivisten in verschiedenen Teilen des Landes. Am 19. Dezember folgten weitere Durchsuchungen auf der Insel Jeju. Es war bereits bekannt, dass der Geheimdienst und die Polizei darauf pochen, all diese Aktivisten hätten das Nationale Sicherheitsgesetz gebrochen. Aber der Vorwurf blieb unklar. Schließlich kann einem in Südkorea schon der Besitz von nordkoreanischen Publikationen oder Musik als Verbrechen ausgelegt werden, wenn man nur links genug ist.
Vergangene Woche wurde dann jedoch bekannt, dass all die Durchsuchungen einen Agentenring aufdecken sollten, der angeblich unter dem Namen »Volksfront für eine selbstständige Wiedervereinigung« seit fünf Jahren im Süden operiert. So soll die damalige Chefin des Jeju-Verbands der Progressive Party, Kang Un-ju, im Juli 2017 einen nordkoreanischen Agenten in Kambodscha getroffen und nach mehreren Tagen Lehrgang in Geheimkommunikation und Untergrundarbeit dann im Süden ein Agentennetzwerk aufgebaut haben. Das erklärt schon einmal, warum auch die Wohnung ihres Nachfolgers durchsucht und mehrere NGOs auf der Insel schikaniert wurden.
Trotz der gravierenden Vorwürfe kam es aber bisher zu keinerlei Anzeigen oder Verhaftungen. Anscheinend ließen sich keine Beweise dafür finden, dass der Norden irgendwie seine Finger im Spiel hat. Die Strafverfolgungsbehörden schoben das darauf, dass die Aktivisten steganographische Botschaften an ihre nordkoreanischen Auftraggeber übermittelt hätten, so dass vollkommen unverdächtige Sätze brisante Informationen enthalten. Wenn man sich aber anschaut, welche Instruktionen laut Durchsuchungsbefehl angeblich aus dem Norden kamen, wirkt das fadenscheinig: Organisiert Demonstrationen gegen konservative Politiker und den neuen rechten Präsidenten, gegen Aufrüstung und den Import von neuesten Waffen aus den USA, gegen die Militärmanöver mit den USA. Spionage für den Norden wurde nicht einmal erwähnt.
Für diese »nordkoreafreundlichen Forderungen« braucht man aber weder Anweisungen noch anderweitig Lehrgänge oder Finanzierung aus dem Norden. Angesichts der vielen Proteste der südkoreanischen Zivilgesellschaft mit genau diesen Forderungen scheint es auch etwas redundant und ineffizent, dafür extra noch Agenten anzuwerben. Aber mangels echter Beweise betont die Polizei gerne, dass selbst der Kontakt mit einem nordkoreanischen Agenten nach dem Nationalen Sicherheitsgesetz strafbar sei. Wobei man sich dessen rein rechtlich erst einmal bewusst sein müsste und der Kontakt auch noch wissentlich die »Existenz« oder zumindest die demokratische Grundordnung Südkoreas gefährden müsste. Zumindest auf dem Papier hohe Hürden für eine Verurteilung.
Dass dieses Treffen mit dem Nordkoreaner stattfand, sei dem Geheimdienst schon Jahre bekannt gewesen, heißt es, und die Frage drängt sich auf, warum so lange gewartet wurde. Für den Geheimdienst läuft die Uhr. Bis er Ende 2023 muss er seine Befugnis, im Inland Spione und Agenten zu suchen an die Polizei abgeben. Das hatte die Demokratische Partei mit ihrer Mehrheit im Parlament gegen harte Widerstände der Konservativen durchgesetzt. Da kommt das Schreckgespenst einer landesweiten Unterwanderung durch nordkoreanische Agenten sehr gelegen. In der Öffentlichkeit kann behauptet werden, die Landespolizei hätte so etwas nie aufdecken können, obwohl bisher keinerlei Beweise vorliegen.
Aber der Fall zeigt auch, wie sehr Südkoreas Konservative noch in den alten Freund-Feind-Schablonen denken. Es scheint unvorstellbar, dass jemand von sich aus gegen Aufrüstung, Militärübungen oder sogar den Präsidenten sein kann. All das sei nur vom Norden angestachelte »Spalterei«.
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