Massaker in Peru
Von Thorben Austen
Das Dröhnen der Militärhubschrauber ist ohrenbetäubend, schwerbewaffnete Polizisten jagen Demonstrierende regelrecht. Auf den dunklen, verwackelten Handyvideos, die im Internet aus Peru kursieren, wird ein Massaker an Protestierenden bezeugt, das die öffentlichen Stellen so nicht bestätigen wollen. Bei den seit vergangener Woche andauernden Demonstrationen gegen die De-facto-Präsidentin Dina Boluarte kam es am Montag nachmittag (Ortszeit) in der südperuanischen Stadt Juliaca zu zahlreichen Todesopfern. In einem der Videos berichtete ein Arzt des örtlichen Krankenhauses von zahlreichen Verletzungen durch Schusswaffen. Demonstrierende suchten Schutz hinter großen Metallplatten und Straßenschildern und bewarfen die Polizei mit Steinen. Am Dienstag bestätigte die lateinamerikanische Nachrichtenseite Telesur 17 Tote in Juliaca. Damit wird die Zahl der Todesopfer der polizeilichen Repression seit Beginn der Proteste in Peru auf insgesamt mindestens 46 geschätzt.
Juliaca ist mit gut 228.000 Einwohnern die bevölkerungsreichste Stadt des im Süden Perus gelegenen Departamentos Puno. In der Region »finden die stärksten und dynamischsten Aktionen in der südlichen Region des Landes statt, insbesondere im Hochlanddepartement Puno, das durch seine hohe Armutsrate gekennzeichnet ist, die von den verschiedenen neoliberalen Regierungen erhöht wird« hieß es auf dem Internetportal La izquierda Diario am Montag. Bereits am Freitag sei es in Juliaca »zu starker Repression gekommen, als Demonstranten versucht hätten, den internationalen Flughafen der Stadt zu besetzen«. Der peruanische Journalist Eland Vera bestätigte die Repression am Montag abend gegenüber junge Welt, zur Stunde sei der Ausnahmezustand ausgerufen und die Beweglichkeit sowohl in Juliaca als auch in Puno stark eingeschränkt, es habe zuvor auch Plünderungen von Supermärkten gegeben.
Unmittelbar nach Bekanntwerden der staatlichen Gewalt gegen Demonstrierende mehrten sich die Forderungen nach einem Rücktritt der ehemaligen Vizepräsidentin Boluarte. Sie war nach dem Sturz und der Inhaftierung des gewählten Staatschefs, Pedro Castillo, von der rechten Parlamentsmehrheit zur Präsidentin gekürt worden. Castillo sitzt für 18 Monate in Untersuchungshaft, vorgeworfen wird ihm »Rebellion«. Ehemalige Minister seiner Regierung, die nach öffentlichem Druck und internen Konflikten zurückgetreten waren, fordern Boluartes sofortigen Rücktritt. »Tote in Puno und in Lima und man spricht vom ›Nationalen Abkommen‹. Wie viele Tote wollen Dina Boluarte und der Kongress noch hinterlassen? Stoppt das Massaker!« wurde etwa Anahí Durand Guevera, ehemalige Ministerin für Frauen und gefährdete Bevölkerungsgruppen, in La Republica zitiert. Die Parlamentsfraktion von Castillos Partei Perú Libre drängte in einer Erklärung auf den »Stopp des Land- und Luftmassakers in Juliaca-Puno« und forderte Boluarte auf, »ihr Amt niederzulegen, den Regierungspalast zu verlassen, Neuwahlen auszurufen und das Land zu einer verfassungsgebenden Versammlung zu führen«.
Die Rechten steuerten rhetorisch dagegen. Kabinettschef Alberto Otárola kündigte am Montag abend weitere »Sicherheitsmaßnahmen« an und bezeichnete die Demonstrationen als Putschversuch. Er forderte die Staatsanwaltschaft auf, »diejenigen zu fassen und strafrechtlich zu verfolgen, die das Land zerstören, finanziert durch ausländische und fremde Interessenten und durch das Schwarzgeld des Drogenhandels«, wie Telesur am Dienstag berichtete. Boluarte hatte bei einem Treffen mit Vertretern der Regionen gesagt, sie könne einige der wichtigsten Forderungen nicht erfüllen. »Das Einzige, was ich in der Hand hatte, war, die Wahlen voranzutreiben«, sagte sie. Das habe sie bereits vorgeschlagen. Boluarte rief die Demonstrierenden zum Nachdenken auf. »Was Sie verlangen, ist ein Vorwand, um weiterhin Chaos in den Städten zu stiften.« Nach Informationen von Pachamama Radio soll von Puno aus, gemeinsam mit Protestbewegungen aus anderen Regionen, der Repression zum Trotz am Donnerstag ein Marsch in die Hauptstadt Lima beginnen.
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