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Aus: Ausgabe vom 11.01.2023, Seite 5 / Inland
Stromstreik

Nichts zu verlieren

Kampagne gegen zu hohe Strompreise gestartet. Wenn genug mitmachen, wird nicht mehr gezahlt
Von Susanne Knütter
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»Solidarisch durch die Krise« forderten Demonstranten auf einem Protestmarsch Ende Oktober in Berlin

Der Konsum ist nicht das Problem. Es sind die Preise. Und die können immer weniger Menschen bezahlen. Wie zumindest die Strompreise selbst in die Hand genommen werden können, hat eine neu gegründete Initiative am Dienstag in Berlin vorgestellt. Unter anderem über die Internetseite wirzahlennicht.info organisieren sie einen Zahlungsstreik gegen die überteuerten Strompreise. Der beginnt, sobald sich mindestens eine Million Menschen bereit erklärt haben, mitzumachen. Dann sollen in einem ersten Schritt nur noch 15 Cent pro Kilowattstunde überwiesen werden. Passiert nichts, »gehen wir einen Schritt weiter und stellen die Abschlagszahlungen komplett ein«, erläuterte Lena Deich die Kampagne.

15 Cent – das ist der Preis, der ausreichen muss, um Stromnetze zu betreiben, so Deich. Bereits jetzt wird der größte Anteil an Strom – 45 Prozent des Strommixes – aus erneuerbaren Energiequellen gewonnen. Ihr Produktionspreis ist am günstigsten und liegt aktuell bei circa 15 Cent pro Kilowattstunde. Die Produktionskosten in neuen Anlagen liegen laut der Initiative »Wir zahlen nicht« mit 7,5 Cent sogar noch deutlich unter diesem Durchschnittspreis.

Aufgrund des Merit-Order-Prinzips bei der Strompreisbildung legt aber das teuerste Kraftwerk, das Energie in das Stromnetz einspeist, den Preis fest. Und dieser Preis sei immer wieder mehr als das Zehnfache höher als die tatsächlichen Kosten. So stieg der Strompreis, weil die Gaspreise im vergangenen Jahr drastisch gestiegen sind. Davon haben auch die Betreiber von Windparks und Solaranlagen profitiert. »Die Gewinne wurden lange privatisiert«, erläuterte Lasse Thiele vom Konzeptwerk Neue Ökonomie. Die Verbraucher müssten das jetzt ausbaden. Dabei haben sie nicht erst jetzt das Nachsehen.

Nach Berechnungen des Vergleichsportals Check 24 zahlte ein Musterhaushalt mit einem Jahresverbrauch von 5.000 Kilowattstunden im November 2020 im Schnitt 29,4 Cent pro Kilowattstunde. Ein Jahr später waren es 31,6 Cent, im November 2022 dann 42,7 Cent und Anfang dieses Jahres lag der Preis pro Kilowattstunde bei 46,7 Cent.

Arme Haushalte leiden besonders unter den steigenden Preisen. Ihnen hilft auch die Strompreisbremse, zu der sich der Bund Ende vergangenes Jahr durchgerungen hat, kaum. Laut Check 24 belaufen sich die Kosten für 1.500 Kilowattstunden pro Jahr trotz Strompreisbremse auf 641 Euro. Das Bürgergeld sieht dagegen für Alleinstehende 511 Euro für Stromkosten vor. Nicole Lindner vom Bündnis gegen Obdachlosigkeit und Zwangsräumungen befürchtet angesichts der Entwicklungen mehr Energiesperren, Menschen, die in ihren Wohnungen Feuer machen, und Suizide. Ihr Abschlag für Strom wurde um etwa 20 Cent erhöht. Der Abschlag für Gas sei von 85 Euro auf über 240 Euro gestiegen.

So geht es den meisten. Noch mehr als die Strompreise sind die Preise fürs Heizen in die Höhe geschnellt. Die Initiative »Wir zahlen nicht« hat sich aber bewusst für den Zahlungsboykott der Stromrechnungen entschieden, um die Mietverhältnisse nicht zu gefährden. Während Stromkosten direkt an den Energieversorger gezahlt werden, sind die für Heizung und Warmwasser in der Regel Bestandteil des Mietvertrags.

Was haben wir zu verlieren? Bereits jetzt finden tagtäglich Stromsperren statt, weil Menschen die Kosten nicht mehr stemmen können. Nach Einschätzung der Initiative sind eine Million Menschen bundesweit die kritische Masse, um genug Schutz zu bieten, politischen Druck auszuüben und auch Stromsperren zu verhindern, die manuell vor Ort vorgenommen werden müssten. Denn Teil der Kampagne sei es, die Menschen zu vernetzen. Und zu guter Letzt verwies die Initiative auf erfolgreiche Beispiele aus der Vergangenheit und in anderen Staaten. Aktuelles Vorbild ist die britische Kampagne »Don’t pay«.

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