Frankfurter Forst vor Vernichtung
Von Gitta Düperthal, Frankfurt am Main
Es geht in die heiße Phase: Räumung und Rodung des Fechenheimer Waldes in Frankfurt am Main stehen unmittelbar bevor. Doch Widerstand im Wald und in der Stadt formiert sich seit dem Wochenende. Die Bundesregierung aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP sowie die hessische CDU-Grünen-Landesregierung haben beschlossen, dass Teile des Waldes abgeholzt werden. Die Bundesautobahn 66 soll durch den Riederwald weitergebaut und an die A 661 angeschlossen werden. Der Protest dagegen eint junge und ältere Umweltaktivistinnen und -aktivisten.
Dem »Aktionsbündnis Unmenschliche Autobahn« (AUA) war es gelungen, diesen Autobahnbau jahrzehntelang immer wieder zu verzögern. Trotz matschigem Boden und zeitweisen Regens kamen mehr als 200 Aktive am Sonntag in den Forst. Der Weg führte durch die 2,7 Hektar Wald, die die Autobahn-GmbH des Bundes roden will, vorbei an vorbereiteten Barrikaden von Waldbesetzerinnen und -besetzern, passierte Dutzende Baumhäuser sowie Aufbauten und endete an einer Brache. Dort stehen Container der Autobahn-GmbH und der Polizei, worin beispielsweise Harvester und Baumaschinen untergebracht sind.
Vergangenes Jahr sei dieses Szenario in der »Rodungssaison« von Oktober bis Ende Februar an der seit September 2021 andauernden Waldbesetzung gescheitert, sagte Alexis Passadakis von »Fecher bleibt – keine A 66« den Waldbesuchern. Absurd sei es, dass angesichts eines Winters mit Temperaturen von 18 Grad Celsius 50 Jahre alte, überkommene Entscheidungen zugunsten der Profite der Autobahnbaukonzerne durchgedrückt werden sollen – »als ob es gar keine weltweite Klimakrise gäbe«. Kein Zufall sei es, die Räumung des Fechenheimer Waldes im selben Zeitraum wie die des Ortes Lützerath in NRW stattfinden zu lassen. Beide seien vermutlich ab diesem Donnerstag geplant, so Ulrich Wilken, Mitglied der Landtagsfraktion Die Linke, im Gespräch mit junge Welt am Sonntag. Auch Frankfurter Aktive fahren in den Weiler Lützerath am Rande des Tagebaus Garzweiler II, wo sich derzeit tausende Menschen versammeln, um gegen das Abbaggern des Ortes zu protestieren.
In der Mainmetropole waren am Sonnabend 500 Demonstrierende zusammengekommen, um beim Neujahrsempfang des Deutschen Gewerkschaftsbundes anwesende Kandidatinnen- und Kandidaten für die Oberbürgermeisterwahl mit ihrer Forderung nach einem Rodungsmoratorium und der Mobilitätswende zu konfrontieren. CDU-Kandidat Uwe Becker behauptete, der Lückenschluss zwischen A 66 und A 661 befreie Bewohner des Stadtteils Riederwald vom »Dauerstau«. Yanki Pürsün, FDP-Kandidat, meinte, dort werde vollzogen, »was vor langer Zeit beschlossen wurde, weil es richtig ist«. Manuela Rottmann, OB-Kandidatin der Grünen, bedauerte, dass der Ausbau wohl nicht mehr zu stoppen sei. »Typisch Grüne!«, kommentierte eine Aktivistin. »In der Landesregierung mit der CDU nehmen sie erst mal alles hin, um hinterher zu behaupten, dass es nun zu spät sei.« Lautes Ausbuhen folgte. Linke-Kandidatin Daniela Mehler-Würzbach insistierte, dass Klimaschutz und weiterer Autobahnbau nicht zusammen gehen. Heuchelei sei es, den Menschen im Riederwald und in Frankfurt angesichts von zehn Jahren Bauzeit und dem zu erwartenden Mehrverkehr Entlastung zu versprechen.
Im Fechenheimer Wald verdeutlichten Redner vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und von AUA am Sonntag, dass sie es durchaus für möglich halten, in letzter Minute das Desaster um eine Rodungssaison zu verzögern. Entsprechende Anträge beider Umweltorganisationen wollten deren Anwälte am Dienstag dem Wirtschaftsministerium übergeben. Eichen-Hainbuchen-Wälder wie der Fechenheimer zeichnen sich durch hohe Artenvielfalt aus. In dortigen Eichen lebe der vom Aussterben bedrohte Heldbockkäfer. Gemeinerweise habe sich der erst nach dem Planfeststellungsbeschluss gezeigt, der vom Dezember 2019 stammt, erklärte Wolf-Rüdiger Hansen vom BUND-Frankfurt-Vorstand. Darüber könne die Autobahn-GmbH nicht hinweg gehen. Geoökologin Julia Krohmer von »Scientists for Future« warnte das bürgerliche Waldpublikum am Sonntag, »wenn Arten zerstört werden, die nach EU-Standards geschützt werden sollen«, gehe der Glauben an den Rechtsstaat verloren.
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