Auf dem Heimweg
Von Jan Tillmanns
Nachdem in den beiden vorherigen Jahren aufgrund der pandemischen Lage im spanischen Staat ausschließlich dezentrale Aktionen stattfinden konnten, mobilisierten die Gefangenenhilfsorganisationen Sare und Etxerat am Sonnabend erstmals wieder zu einer großen Manifestation in der baskischen Provinzhauptstadt Bilbao. Unter dem Motto »Etxerat bidea gertu« (Auf dem Heimweg, jW) demonstrierten mehrere zehntausend Menschen für eine Rückkehr der Gefangenen in ihre Heimat und ein Ende der gesetzlichen Ausnahmeregelungen.
Laut der Zeitung Gara nahmen rund 67.000 Menschen an der Demonstration teil. Damit konnten die Organisatoren an die Mobilisierungen vor der Pandemie anknüpfen. In einem langen Zug verlief der Protest durch die Innenstadt Bilbaos. Begleitet wurde die Demonstration von einem überdimensionierten, 30 mal 15 Meter großen Transparent mit dem neuen Logo der Organisationen. Das neue Logo wurde erst in der vergangenen Woche von den Organisatoren im Beisein von bekannten Persönlichkeiten aus der baskischen Gesellschaft präsentiert. Joseba Azkarraga, der Sprecher von Sare, betonte im Gespräch mit Gara, die neue Symbolik stehe für eine neue Etappe im Kampf um die Rechte der politischen Gefangenen.
Im Verlauf der Abschlusskundgebung dankten Azkarraga und die Etxerat-Sprecherin Bego Atxa der baskischen Gesellschaft für ihren Kampf gegen den permanenten Ausnahmezustand und das unermüdliche Engagement zur Unterstützung der politischen Gefangenen in den vergangenen Jahrzehnten. Durch diese Anstrengungen habe man diese Etappe des Kampfes »gemeinsam gewonnen«. Zugleich mahnten die beiden Sprecher, dass noch immer viele Konfliktfolgen nicht gelöst seien. Ohne eine Beseitigung der vielschichtigen Probleme der Betroffenen werde es sehr schwer werden, zu einem friedlichen Zusammenleben zu finden. Im Anschluss prangerten sie das Verhalten der spanischen Sondergerichtsbarkeit und Staatsanwaltschaften an. Sie würden einen gesellschaftlichen Versöhnungsprozess behindern. Vielmehr agierten diese aus »Rachegelüsten«. Hintergrund ist die systematische Annullierung von Rechtsurteilen auf regionaler Ebene durch die spanische Sondergerichtsbarkeit. Diese hatte in den vergangenen Monaten dazu geführt, dass politische Gefangene mit erleichterten Haftbedingungen wieder dauerhaft ins Gefängnis müssen.
Am Vormittag stellte Sare die andere große ungelöste Folge des Konflikts in den Mittelpunkt: die Opfer. An der Veranstaltung nahmen mit Rosa Rodero und Rosa Lluch zwei Opfer der Baskischen Widerstandsorganisation (ETA) teil. Mit Mari Nieves Díaz und Irantzu Benito waren zudem Opfer der Gefängnispolitik beteiligt. Díaz ist die Mutter der von sexualisierter Folter betroffenen Iratxe Sorzabal.
Lluch forderte einen Dialog zwischen allen Beteiligten, um eine Aufarbeitung des Geschehenen möglich zu machen. Ein Beispiel für eine Überwindung des Schweigens gab Mari Nieves Díaz. In ihrer bewegenden Rede schilderte sie die Verhaftung und Inhaftierung ihrer Tochter. Während dieser Momente sei die Befürchtung um Folter und Vergewaltigung ihrer Tochter immer präsent gewesen. Diese fast unerträglich schwierige Zeit für sie als Mutter zeige nicht nur ihren alleinigen Schmerz, sondern den kollektiven Schmerz der gequälten Menschen, von denen einige nicht überlebt hätten. Dieses Thema ist auch das Leitmotiv des Dokumentarfilms »Bi Arnas«. Im Film werden die Folter und die Beziehung zu ihrer Tochter dargestellt.
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