Klassenkrieg von oben
Von Christian Bunke
Seit den 1980er Jahren wurde in Großbritannien nicht mehr so viel und so ausdauernd gestreikt wie heute. Hunderttausende beteiligen sich an Arbeitskämpfen in zahlreichen Branchen – allen voran die Eisenbahner, gefolgt von Dockern, Pflegekräften im Gesundheitswesen und vielen anderen mehr. Millionen Menschen unterstützen diese Streiks. Sie sehen darin ein Mittel, um gegen Jahrzehnte der Armut, der Kostensteigerungen, der Unterdrückung lohnabhängiger Menschen im allgemeinen zurückzuschlagen.
Die regierenden Tories sind bereit, den Fehdehandschuh aufzunehmen, Klassenkampf können sie. Und sie sehen zum Klassenkampf keine Alternative. Der Spielraum ist eingeschränkt. Am Krieg in der Ukraine ist der britische Staat direkt beteiligt, mit allen Kosten, die dies mit sich bringt. Entsprechend muss an der Heimatfront Ruhe herrschen. Schon längst werden streikende Feuerwehrleute und Eisenbahner in der Rechtspresse als »Agenten Putins« beleidigt. Hinzu kommt, dass die Staatsverschuldung ein Ausmaß angenommen hat, das größere Investitionen bei stagnierendem oder sogar rückläufigem Wirtschaftswachstum verunmöglicht. Wenn in dieser Lage die Vermögen der Reichen und die Profite der großen Konzerne unangetastet bleiben sollen, dann gibt es für Lohnabhängige nichts zu verteilen. Dem geopolitisch motivierten Krieg in Osteuropa folgt deshalb nun der Klassenkrieg im Inland. Er ist aus bürgerlicher Sicht unausweichlich.
Wesentliches Instrument der Kriegführung gegen lohnabhängige Menschen im Inland ist die Justiz. Die Parlamentarier im britischen Unterhaus haben daran gearbeitet, den Gerichten hierzu viele neue Mittel an die Hand zu geben. Ein Beispiel ist das »Gesetz für die öffentliche Ordnung«, welches nur noch vom Oberhaus abgenickt werden muss. Es macht Ankettaktionen und viele weitere Formen des zivilen Ungehorsams sowie deren Vorbereitung strafbar und ermöglicht die Präventivhaft für mutmaßliche Aktivisten. So sollen die Bewegungen der Straße getroffen werden, seien es direkte Aktionen zur Verhinderung von Abschiebungen oder Blockaden von Klimaschützern.
Am Donnerstag wurde nun mit einer explizit gewerkschaftsfeindlichen Gesetzesankündigung nachgelegt. In acht Branchen, darunter dem Transportwesen, einschließlich der Eisenbahnen, dem Gesundheits- und dem Energiesektor, sollen Gewerkschaften dazu verpflichtet werden, im Streikfall eine von den Unternehmen vorher festgelegte Mindestbesetzung der bestreikten Betriebe zu garantieren. Unternehmen sollen die von ihnen gewünschten Streikbrecher sogar namentlich benennen dürfen. Weigern sich die Gewerkschaften, sollen ihnen drastische Geldstrafen drohen. Hier zeigt sich einerseits der Zwangscharakter der Lohnarbeit in seltener Offenheit. Aber es wird auch deutlich, wie sehr die bisherigen Streiks dem Staat an die Nieren gehen. Nun heißt es, vor der Repression nicht zu weichen, sondern, im Gegenteil, weiter in die Offensive zu gehen.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart ( 7. Januar 2023 um 15:18 Uhr)In (Groß)Britannien herrscht Alarmstimmung. Bei Staatsaktionen laufen britische Medien zur Höchstform auf. Bildstark bis poetisch begleitete die britische Presse die Desaster der regierenden Konservativen. Aber auch aus den eigenen Reihen hört die Regierung zunehmend Stimmen, die die Aufnahme von Lohnverhandlungen fordern. Eine Handvoll Tory-Abgeordneter hat öffentlich erklärt, dass ein Kompromiss mit den Gesundheitsmitarbeitern die beste Lösung sei. Dahinter steckt auch politisches Kalkül. Zwar streiken in diesem Dezember unzählige Gewerkschaften, von den Postbeamten und Bahnangestellten bis zu Fahrprüfern, aber es sind vor allem die Gesundheitsmitarbeiter, die der Regierung Probleme bereiten könnten. Denn sie genießen viel Rückhalt in der Bevölkerung – und diese macht die Regierung für die Streiks verantwortlich. Die Konfrontation birgt also große Risiken für Downing Street. Eine tiefe Wirtschaftskrise lässt die Armut wachsen. Die konservative Tory-Regierung will trotzdem möglichst wenig sozialstaatlichen Eingriff. Nachbesserungen bei den Löhnen der Gesundheitsbediensteten lehnte Premier Rishi Sunak ab. Dafür gebe es im laufenden Finanzjahr keinen Spielraum. Wer wird schon die Tories vor sich selbst retten?
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