Zoff um Kohlestopp im Osten
Von Bernd Müller
In Nordrhein-Westfalen wird der Kohleausstieg um acht Jahre vorgezogen. Ginge es nach den Vorstellungen von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) soll auch im Lausitzer und im Mitteldeutschen Revier schon 2030 Schluss sein. Kommunalpolitiker in der Region reagierten auf den Vorstoß mit deutlicher Kritik und in Sachsen löste er einen Krach in der Landesregierung aus.
Sollte der Ausstieg auf das Jahr 2030 vorgezogen werden, müsse das im Konsens vereinbart werden, sagte Habeck kürzlich gegenüber dpa. Er versprach, dass ein vorzeitiges Aus für die Kohleverstromung nicht von oben verordnet werde, sondern es müsse »in einer breiten Allianz als guter Plan empfunden werden«. Konsens heißt für ihn aber nicht, »dass alle mitmachen«, sondern, »dass es politisch gewollt und getragen wird«.
Kommunalpolitiker bezeichneten Habecks Aussagen als Debatte zur Unzeit, auch Sachsens Ministerpräsident, Michael Kretschmer (CDU), hatte gegenüber Bild am 1. Januar erklärt, er verstehe nicht, warum Habeck diese Diskussion eröffne. Und der Vorstandsvorsitzende des Lausitzer Tagebaubetreibers LEAG, Thorsten Kramer, verwies auf den vereinbarten Ausstiegsplan und die Versäumnisse von Habecks Ministerium.
»Nicht mit uns«, erklärte der Landrat des Spree-Neiße-Kreises im Südosten Brandenburgs, Harald Altekrüger (CDU), am Mittwoch. Für die regionale Wirtschaft und die Einwohner der Lausitz würde der vorzeitige Ausstieg erhebliche Einschnitte mit sich bringen und die erfolgreiche Umsetzung des Strukturwandels in Brandenburg und Sachsen gefährden.
LEAG-Chef Kramer betonte laut einem Bericht der Lausitzer Rundschau (Donnerstag), für sein Unternehmen gelte »die Maxime eines geordneten Kohleausstiegs ebenso wie die im Kohleausstiegsgesetz formulierten Checkpoints zur Prüfung eines vorfristigen Ausstiegs«.
Mit letzterem Punkt verwies Kramer auf die im Gesetz fest vereinbarten Prüftermine. Die Bundesregierung ist demnach verpflichtet, jeweils zum 15. August der Jahre 2022, 2026, 2029 und 2032 einen Zwischenbericht vorzulegen, der »auf wissenschaftlicher Grundlage« die Auswirkungen des Kohleausstiegs genau untersucht. Im ersten Zwischenbericht sollten demnach die Folgen für die »Aufrechterhaltung der Wärmeversorgung und die Strompreise« sowie die sozialen Auswirkungen des Kohleausstiegs untersucht werden. Bis heute hat Habecks Ministerium einen solchen Bericht nicht vorgelegt.
In der sächsischen Landesregierung hat sich nach Habecks Äußerungen ein Riss zwischen CDU und Grünen aufgetan. Während sich der Ministerpräsident gegen ein früheres Kohle-Aus aussprach, sagte Sachsens Energieminister Wolfram Günther (Bündnis 90/Die Grünen) am Montag in der Sächsischen Zeitung, die »Braunkohleverstromung in Mitteldeutschland und in der Lausitz wird aus ökonomischen Gründen deutlich vor 2038 enden«. Die Unternehmen kämen an einen Punkt, wo es sich für sie einfach nicht mehr rechne. Begleite man den marktgetriebenen Kohleausstieg nicht aktiv, dann drohe Sachsen die Deindustrialisierung.
Habecks Äußerungen waren nicht aus der Hüfte geschossen; sie dürften auf dem Bericht zur Versorgungssicherheit im Stromsektor für die Jahre 2025 und 2031 beruhen, der aktuell innerhalb der Bundesregierung beraten wird. Der Bericht beruht auf zwei wissenschaftlichen Analysen, bei denen die Versorgungssicherheit in verschiedenen Szenarien durchgespielt wurde.
Demnach kann die Bundesrepublik auf die letzten drei Atommeiler verzichten, ohne einen Energiekollaps zu erleiden, und man könne auch bis 2030 komplett aus der Kohleverstromung aussteigen. Das gelte auch bei einem deutlich steigenden Stromverbrauch, wenn etwa mehr Wärmepumpen in den Gebäuden zum Einsatz kämen oder wenn mehr Elektroautos auf den Straßen unterwegs wären.
Dafür müsste aber der Ausbau der erneuerbaren Energien zügig vorangetrieben werden. Bis 2030 müssten 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen stammen. Und es müssten neue Gaskraftwerke gebaut werden.
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