»Diese Menschen hatten keine Lobby«
Interview: Gitta Düperthal
Die Antisexistische Aktion München (ASAM) lädt für diesen Sonnabend zur Gedenkkundgebung vor dem ehemaligen Club »Liverpool« ein. Anlass ist der 39. Jahrestag des rechten Anschlags der »Gruppe Ludwig«, bei dem die 20jährige Corinna Tartarotti im Jahr 1984 getötet und sieben weitere Menschen verletzt wurden. Was geschah damals und warum hat die Gruppe diesen Club als Ziel ihrer Gewalttat gewählt?
Unserer Kenntnis nach kamen an jenem 7. Januar 1984 zwei junge Männer in den Club, schütteten im engen Eingangsbereich, von dem aus eine Treppe in die Disko hinunterführte, Benzinkanister aus, und legten ein Feuer. Innerhalb kürzester Zeit stand der Raum in Flammen. Einige konnten in den hinteren Teil des Clubs entrinnen und dort von der Feuerwehr gerettet werden. Für Corinna Tartarotti, die dort als »Barmädchen« arbeitete, wie aus damaligen Zeitungsberichten hervorgeht, war es jedoch zu spät. Als sie sich noch durch die Flammen auf die Straße retten wollte, zog sie sich derart schwere Verletzungen zu, dass sie drei Monate später daran verstarb. Die Täter wählten den Berichten zufolge diesen Club aus, weil er im sogenannten Rotlichtmilieu war. Die beiden Täter der »Gruppe Ludwig« verband eine männerbündische Ideologie, in der ein sexistisches Menschenbild vorherrschte.
Welche Aktualität hat dieses Geschehen heutzutage und warum ist Ihnen das Gedenken daran als feministische Gruppe wichtig?
Wir waren durch die Recherchen des Journalisten Robert Andreasch, der im Fall dieser vergessenen neofaschistischen Anschläge in München berichtete, auf den Mord aufmerksam geworden. Wir haben diese Taten der »Gruppe Ludwig« aufgegriffen, und versucht, vor allem die Geschichte der Opfer in den Mittelpunkt zu stellen. Denn die werden häufig völlig vergessen. Ihre Opfer waren meist Prostituierte, Drogensüchtige, Obdachlose. Bei ASAM meldeten sich auch immer wieder Menschen, die Informationen zu Corinna hatten. Etwa weil sie mit ihr zusammen zur Schule gingen, so dass wir uns ein Bild von ihr machen konnten. Sie liegt auf dem Sendlinger Friedhof begraben. Im antifaschistischen Sinn wollen wir dafür sorgen, dass das Gedenken an die Opfer weiterhin für die Auseinandersetzung mit der Geschichte sorgt. Wir wollten aber auch mehr über die Täter erfahren. Es ging ihnen darum, die »Gesellschaft zu reinigen«. Ihre Opfer wählten sie entsprechend der faschistischen Ideologie der »Reinigung des Volkskörpers« aus.
Was ist über die »Gruppe Ludwig« bekannt?
Die beiden Täter Wolfgang Abel und Marco Furlan der »Gruppe Ludwig« wurden wegen einer Reihe von Morden verurteilt, die meisten davon fanden in Norditalien statt. Sie saßen lange Zeit im Gefängnis, kamen danach wieder frei. Die insgesamt 15 Morde, die beide im Zeitraum zwischen 1977 und 1984 in Norditalien und zuletzt in Deutschland begingen, wurden aufgearbeitet. Allerdings schwang bei deren Betrachtung stets eine Art Voyeurismus mit: Über die Täter weiß man viel, über die Opfer dagegen wenig. Es interessierte niemanden, weil es Menschen waren, die am Rande unserer Gesellschaft lebten, keine Lobby hatten. Erst neuerdings gibt es Bestrebungen in Norditalien oder auch seitens der Stadt München, ihrer zu gedenken.
Inwiefern hilft es für den aktuellen Kampf gegen extreme Rechte und deren Angriffe gegen die Bevölkerung, wenn an vergangene Anschläge erinnert wird?
Für uns als feministische Gruppe ist es wichtig, die Kontinuitäten faschistischer Ideologien in der BRD herauszuarbeiten. Bis heute gibt es in dieser Logik Überschneidungen mit Frauenfeindlichkeit. Dieser Aspekt des Faschismus wird oft in den Hintergrund gedrängt. Rechter Terror wirkt stets in die Mitte der Gesellschaft hinein. Das muss aus unserer Sicht stärker beleuchtet werden. Damit sich nicht erneut Feindbilder gegen den Feminismus ausbreiten, erinnern wir an den Anschlag auf den »Club Liverpool«, der quasi vor unserer Haustür stattfand.
Nina Stern ist Sprecherin der Antisexistischen Aktion München (ASAM)
Kundgebung: Sa., 7. 1., 16 Uhr, Schillerstr. 11a, München
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