Der nächste Schritt
Von Reinhard Lauterbach
Die Nachrichten darüber, dass die NATO nun die ersten Panzer aus Eigenbeständen an die Ukraine liefern will, werden wieder einmal als ein »Dammbruch« beklagt werden. Dabei sind diese Lieferungen genau das nicht. Sie sind ein logischer Schritt in einer Strategie, die das westliche Kriegsbündnis seit dem russischen Einmarsch verfolgt: praktisch auszutesten, was sich Russland bieten lässt, ohne seinerseits die Herausforderung seitens der gesamten NATO anzunehmen.
Vorher gab es schon: sowjetische Altpanzer aus den Beständen ehemals sozialistischer Länder, Panzer- und Flugabwehrraketen, solange der Vorrat reichte, Drohnen, elektronische Kampfmittel, leichte Geschütze, schwere Geschütze, »Himars«-Raketenwerfer, Flakpanzer aus Deutschland … Nun also auch richtige Panzer. Denn der sogenannte Aufklärungspanzer »AMX-10« aus Frankreich weist eine Kanone vom Kaliber 105 Millimeter auf – also immerhin entsprechend dem deutschen Kampfpanzer »Leopard I«.
Auf eine immanente Grenze dieser Lieferungen hat am Mittwoch die Washington Post hingewiesen: Was die Biden-Regierung als »Bestreben, eine Eskalation zu vermeiden«, darstelle, sei in Wahrheit ein echtes technisch-logistisches Problem: Die »Abrams«-Panzer, die die Ukraine gern aus den Vereinigten Staaten hätte, sind erstens mit 52 Tonnen so schwer, dass keine ukrainische Brücke sie aushält; erst recht übrigens der von Kiew erbetene »Leopard« mit seinen 62 Tonnen. Da ist der französische »AMX-10« mit 20 Tonnen Kampfgewicht das Mittel der Wahl. Die »Abrams« seien zweitens störanfällig, so dass man nicht umhinkäme, eigenes Personal für die Instandhaltung in die Ukraine zu schicken. Und drittens haben sie einen Spritverbrauch, der die Möglichkeiten des Landes – wo infolge des militärischen Bedarfs und der Zerstörung der meisten Raffinerien Treibstoff sowieso knapp ist – klar übersteige. Das heißt, die »Abrams«-Lieferung zu verweigern, ist kein Zeichen der Zurückhaltung, sondern die Dinger würden in der Ukraine im Moment zu kaum etwas taugen.
Russland hat dieses Spiel bislang mitgemacht. Wer sich gefragt hat, warum zivile Einrichtungen beschossen worden sind, aber nicht zum Beispiel die Brücken über den Fluss San an der Grenze zu Polen (es gibt insgesamt 14 davon, also eine überschaubare Zahl) oder die ersten Rangierbahnhöfe östlich der Grenze, um die Gefahr eines fehlgeleiteten Treffers auf NATO-Territorium zu vermeiden, der hat hier die Antwort: Russland wollte die Eskalation nicht riskieren.
Es bekommt sie trotzdem. Es sei denn, es kapituliert vor dem Anspruch der NATO, auch ganz Osteuropa militärisch zu kontrollieren, und verzichtet auf den Rest seines eigenen Großmachtanspruchs. Michail Gorbatschow hat das versucht; es ist Russland nicht gut bekommen. Wenn Wladimir Putin eine Lehre aus den 1990er Jahren verinnerlicht hat, dann diese.
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Die Frage stellen Redaktionen nicht aus wachsender Sorge oder gar Zurückhaltung zu üben. Wer das glaubt, kennt zumindest deutsche Vergangenheit, deutsche Krieger und Militärs nicht annähernd. Wer das glaubt, weiß bis heute nichts davon, wie gerade deutsche Politik und Militär stets ganz unschuldig und ohne Absicht in ihre Kriege geraten sind, hineingerutscht wurden und doch nur Volk und Vaterland verteidigen wollten. Erster wie Zweiter Weltkrieg hat dafür seine namhaften Protagonisten, wie jeder mäßig gebildete Deutsche wissen kann.
Soll er es? Wir wollen dabei sein beim nächsten großen Krieg, der immer absehbarer wird oder bereits im Gange ist. Gegen Russland nach Osten ein sehnlichster Wunsch nach bisherigen Niederlagen, was offen genug nicht erst heute ausgesprochen wurde. Sind wir etwa nicht Kriegsteilnehmer, wenn wir uns jeder Lieferung von Rüstungsgütern rühmen, uns dazu treiben lassen, begeistert die Vernichtungskraft feiern, jubeln über Niederlagen und Tote auf russischer Seite? Warten wir vielleicht sehnlichst darauf, endlich von Russland als Kriegsteilnehmer betrachtet zu werden – mit allen daraus sich ergebenden Folgen und militärischen Möglichkeiten? Politiker der Ampel von Klingbeil, Strack-Zimmermann, Baerbock, Hofreiter und Co., die mit Krieg Leben retten wollen, die fühlen sich längst als Kriegsteilnehmer. Wir möchten diese gern an der Front sehen, wie sie Leben retten, sie bestaunen auf ihrem Schlachtfeld der Ehre und Menschenrechts. Wenn dieser Traum nur einmal in Erfüllung ginge!