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Aus: Ausgabe vom 06.01.2023, Seite 8 / Ansichten

Der nächste Schritt

Westliche Panzerlieferungen
Von Reinhard Lauterbach
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»Abrams«-Panzer bei einem Manöver in Drawsko Pomorskie, Polen (Mai 2022)

Die Nachrichten darüber, dass die NATO nun die ersten Panzer aus Eigenbeständen an die Ukraine liefern will, werden wieder einmal als ein »Dammbruch« beklagt werden. Dabei sind diese Lieferungen genau das nicht. Sie sind ein logischer Schritt in einer Strategie, die das westliche Kriegsbündnis seit dem russischen Einmarsch verfolgt: praktisch auszutesten, was sich Russland bieten lässt, ohne seinerseits die Herausforderung seitens der gesamten NATO anzunehmen.

Vorher gab es schon: sowjetische Altpanzer aus den Beständen ehemals sozialistischer Länder, Panzer- und Flugabwehrraketen, solange der Vorrat reichte, Drohnen, elektronische Kampfmittel, leichte Geschütze, schwere Geschütze, »Himars«-Raketenwerfer, Flakpanzer aus Deutschland … Nun also auch richtige Panzer. Denn der sogenannte Aufklärungspanzer »AMX-10« aus Frankreich weist eine Kanone vom Kaliber 105 Millimeter auf – also immerhin entsprechend dem deutschen Kampfpanzer »Leopard I«.

Auf eine immanente Grenze dieser Lieferungen hat am Mittwoch die Washington Post hingewiesen: Was die Biden-Regierung als »Bestreben, eine Eskalation zu vermeiden«, darstelle, sei in Wahrheit ein echtes technisch-logistisches Problem: Die »Abrams«-Panzer, die die Ukraine gern aus den Vereinigten Staaten hätte, sind erstens mit 52 Tonnen so schwer, dass keine ukrainische Brücke sie aushält; erst recht übrigens der von Kiew erbetene »Leopard« mit seinen 62 Tonnen. Da ist der französische »AMX-10« mit 20 Tonnen Kampfgewicht das Mittel der Wahl. Die »Abrams« seien zweitens störanfällig, so dass man nicht umhinkäme, eigenes Personal für die Instandhaltung in die Ukraine zu schicken. Und drittens haben sie einen Spritverbrauch, der die Möglichkeiten des Landes – wo infolge des militärischen Bedarfs und der Zerstörung der meisten Raffinerien Treibstoff sowieso knapp ist – klar übersteige. Das heißt, die »Abrams«-Lieferung zu verweigern, ist kein Zeichen der Zurückhaltung, sondern die Dinger würden in der Ukraine im Moment zu kaum etwas taugen.

Russland hat dieses Spiel bislang mitgemacht. Wer sich gefragt hat, warum zivile Einrichtungen beschossen worden sind, aber nicht zum Beispiel die Brücken über den Fluss San an der Grenze zu Polen (es gibt insgesamt 14 davon, also eine überschaubare Zahl) oder die ersten Rangierbahnhöfe östlich der Grenze, um die Gefahr eines fehlgeleiteten Treffers auf NATO-Territorium zu vermeiden, der hat hier die Antwort: Russland wollte die Eskalation nicht riskieren.

Es bekommt sie trotzdem. Es sei denn, es kapituliert vor dem Anspruch der NATO, auch ganz Osteuropa militärisch zu kontrollieren, und verzichtet auf den Rest seines eigenen Großmachtanspruchs. Michail Gorbatschow hat das versucht; es ist Russland nicht gut bekommen. Wenn Wladimir Putin eine Lehre aus den 1990er Jahren verinnerlicht hat, dann diese.

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  • Leserbrief von Roland Winkler aus Aue ( 9. Januar 2023 um 17:11 Uhr)
    Macht uns das zum Kriegsteilnehmer, fragt der Nachrichtensprecher. Diese Frage hören wir, seitdem wir mehr und mehr Waffen, Rüstungsgüter, mehr und mehr Krieg in das Land schaffen, das zum Schlachtfeld der NATO, USA und des Westens gemacht wurde. Zu leugnen, dass genau das Absicht und Plan seit 2014 und davor gewesen ist, leugnen nur noch wenige. Im Siegestaumel wird nicht mehr verheimlicht, worum es geht. Nur die dümmsten, einfältigsten Naivlinge glauben an das, was moralisierende Kriegsmärchenerzähler von sich geben.
    Die Frage stellen Redaktionen nicht aus wachsender Sorge oder gar Zurückhaltung zu üben. Wer das glaubt, kennt zumindest deutsche Vergangenheit, deutsche Krieger und Militärs nicht annähernd. Wer das glaubt, weiß bis heute nichts davon, wie gerade deutsche Politik und Militär stets ganz unschuldig und ohne Absicht in ihre Kriege geraten sind, hineingerutscht wurden und doch nur Volk und Vaterland verteidigen wollten. Erster wie Zweiter Weltkrieg hat dafür seine namhaften Protagonisten, wie jeder mäßig gebildete Deutsche wissen kann.
    Soll er es? Wir wollen dabei sein beim nächsten großen Krieg, der immer absehbarer wird oder bereits im Gange ist. Gegen Russland nach Osten ein sehnlichster Wunsch nach bisherigen Niederlagen, was offen genug nicht erst heute ausgesprochen wurde. Sind wir etwa nicht Kriegsteilnehmer, wenn wir uns jeder Lieferung von Rüstungsgütern rühmen, uns dazu treiben lassen, begeistert die Vernichtungskraft feiern, jubeln über Niederlagen und Tote auf russischer Seite? Warten wir vielleicht sehnlichst darauf, endlich von Russland als Kriegsteilnehmer betrachtet zu werden – mit allen daraus sich ergebenden Folgen und militärischen Möglichkeiten? Politiker der Ampel von Klingbeil, Strack-Zimmermann, Baerbock, Hofreiter und Co., die mit Krieg Leben retten wollen, die fühlen sich längst als Kriegsteilnehmer. Wir möchten diese gern an der Front sehen, wie sie Leben retten, sie bestaunen auf ihrem Schlachtfeld der Ehre und Menschenrechts. Wenn dieser Traum nur einmal in Erfüllung ginge!
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Gabriel T. aus Berlin ( 6. Januar 2023 um 13:21 Uhr)
    Es ist das ideale Gelände für Panzerschlachten, das wussten auch schon die Nazis der deutschen Wehrmacht, die damit erst die Entwicklung legendärer sowjetischer Panzer provozierten. Nun ein idealer Schauplatz für die Konkurrenz »wertewestlicher« Waffenschmieden, nicht nur mit der russischen, sondern auch untereinander. Flache ausgedehnte Ebenen mit geringer Bewaldung. Hier kann geprobt werden, welche der westlichen Entwicklungen denn nun in der Realität wirklich die besseren sind. Dies wird sich in zukünftigen Verkaufszahlen niederschlagen. Die Bemerkung, dass dabei die Zerstörung der gesamten Infrastruktur kein Kollateralschaden, sondern in der Logik der deutschen Wehrmacht, aber auch der US-Vietnamstrategie Kriegszweck ist, weist darauf hin, dass vom »Wertewesten« für die Ukraine ein ähnliches Schicksal geplant ist. (…)
  • Leserbrief von Philipp Zessin-Jurek aus Frankfurt (Oder) ( 6. Januar 2023 um 12:48 Uhr)
    Lieber Herr Lauterbach, bitte schauen Sie sich die Geografie an. Der San ist anders als Sie nahelegen kein Grenzfluss zwischen Polen und der Ukraine. Er befindet sich praktisch ausschließlich auf polnischem Gebiet. Ein systematischer Beschuss der Brücken, die über den Fluss führen, wäre also unzweifelhaft ein unmittelbarer Angriff auf NATO-Gebiet und würde zur Aktivierung des § 5 NATO-Vertrag führen. Genau das will Russland natürlich verhindern. Daher ist ein solches Vorgehen keine Alternative für Russland. Militärische Anlagen an der polnisch-ukrainischen Grenze wie das Ausbildungslager Jaworiw wurden dagegen beschossen – mit einer Vielzahl an Toten. Von einer russischen Zurückhaltung gegenüber Eskalation kann also keine Rede sein.
  • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude, Russland ( 6. Januar 2023 um 02:44 Uhr)
    »Wer sich gefragt hat, warum zivile Einrichtungen beschossen worden sind …« R. Lauterbach verwechselt hier etwas. Die Ukraine betrachtete spätestens seit 2014 den überwiegenden Teil der Bevölkerung der Süd- und Ostukraine einschließlich Donbass als Russen – freundlich und daher verzichtbar. Es gab zahllose Äußerungen ukrainischer Politiker darüber, dass dieser Personenkreis entweder das Land verlassen oder getötet werden soll. Diesem Ziel dienten zwei Maßnahmen: Bis zum heutigen Tag wird seit 2014 die Zivilbevölkerung im Donbass durch Beschuss terrorisiert, meist, ohne dass dort militärische Ziele vorhanden wären. Tatsächlich haben deshalb Millionen Menschen den Donbass verlassen, Tausende wurden getötet – alles Kriegsverbrechen. Zweitens wurde aus Hochhäusern und Wohnhöfen herausoperiert, die vielfach noch vor dem Gegenfeuer der Russen verlassen wurden, um es ihnen dann anzulasten, so Zeugenaussagen von Bewohnern, die zuvor aus ihren Wohnungen geworfen wurden. Angegriffen werden nicht die zivilen Einrichtungen, sondern ukrainische Stellungen, die im Stil von Terroristen in ziviler Umgebung versteckt werden, was ebenfalls ein Kriegsverbrechen darstellt. Russland hat keinerlei Interesse daran, Zivilisten zu terrorisieren und zivile Einrichtungen zu zerstören, da sie diese Gebiete ja einschließlich der Bewohner als zu Russland gehörig betrachten und nach dem Krieg alles wieder aufgebaut werden muss. Der Westen dagegen ahnt wohl, dass mindestens große Teile der Ukraine für seine Expansion verloren gehen werden. Dann soll es wenigstens ein menschenleerer Schrotthaufen sein, den nach der Taktik der verbrannten Erde Russland dann übernehmen soll wie 1944. »Wenn wir schon nicht gewinnen können, dann treten wir euch wenigstens den Platz kaputt«. Der Beschuss von Brücken nach Polen birgt die Gefahr, dass eine Rakete fehlgeleitet in Polen einschlägt. Polen ruft dann den Bündnisfall aus und die NATO marschiert in der Westukraine ein als »Friedenstruppe«.

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