Alte Kolonialmacht unerwünscht
Von Hansgeorg Hermann
Frankreich ist dabei, seinen politischen Einfluss als alte Kolonialmacht in Afrika völlig zu verlieren. Nach der Zentralafrikanischen Republik und Mali wendet sich nun auch die Republik Burkina Faso von der politischen Führung in Paris ab. Wie französische und afrikanische Medien zu Beginn der Woche meldeten, verlangte die aktuelle Regierung in Ouagadougou Ende Dezember in einer Note an das französische Außenministerium den Austausch seines derzeitigen Botschafters Luc Hallade. Das Land mit seinen rund 20 Millionen Einwohnern wird von einer Militärjunta unter Leitung des Hauptmanns Ibrahim Traoré beherrscht. Traoré hatte am 30. September seinen Vorgänger, den Oberstleutnant Paul-Henri Sandaogo Damiba, abgesetzt, der sich erst im Januar zuvor selbst an die Macht geputscht hatte.
Eine breite Mehrheit der Bevölkerung forderte in den vergangenen Monaten zeitweise mit Massenprotesten gegen die früheren Herrscher den Abzug aller Franzosen. Unter dem Motto »La France doit partir« orientieren sich die regierenden Militärs wie auch die Führung im Nachbarland Mali inzwischen offen an russischen Hilfsangeboten zur Abwehr islamistischer Milizen. Afrikanische und französische Quellen, die unter anderem die Pariser Tageszeitung Le Monde zitierte, gehen davon aus, dass Traoré und seine Armee nur noch rund 60 Prozent des Landes, den Süden Burkina Fasos, »unter Kontrolle haben«.
Den nur dürftig mit diplomatischen Floskeln kaschierten Rauswurf des Botschafters Hallade kommentierte der Quai d’Orsay, Sitz des Pariser Außenministeriums, bis zum Donnerstag nicht. Als »vorgeschoben« bewerteten Kommentatoren in französischen Medien den angeblich in dem Brief der Junta genannten Grund für die Forderung nach Hallades Abzug aus Ouagadougou: Demnach habe der Diplomat seine Landsleute im nur rund 105 Kilometer von der burkinischen Hauptstadt entfernten Koudougou »mit Nachdruck« aufgefordert, ihre Wohnungen und Büros zu verlassen und wegen angeblich drohender Angriffe islamistischer »Terroreinheiten« nach Ouagadougou oder Bobo-Dioulasso im Südwesten Burkinas zu fliehen.
Die »islamistische Heimsuchung« gehört seit Ende 2015, dem Beginn des sogenannten Sahelkrieges, zum Alltag der Dörfer und Siedlungen im Norden und Osten der Region. Koudougou ist mit seinen knapp 90.000 Einwohnern die drittgrößte Stadt des Landes und wird von der französischen Regierung inzwischen der »roten Zone«, der unmittelbar von Milizen bedrohten Region des südlichen Sahel, zugeordnet. Offenbar zum Ärger der Herrschenden in Ouagadoudou, die den verschiedenen nördlich der zentral gelegenen Hauptstadt angesiedelten ethnischen Minderheiten ganz wie ihre Vorgänger mehr Sicherheit oder gar den Schutz vor islamistischen Attacken versprochen haben. Im Gegensatz dazu hatte Hallade französische Residenten gewarnt, der Aufenthalt in Koudougou repräsentiere in diesen Tagen »ein ernstzunehmendes Risiko«.
Gespräche zwischen der französischen Außenministerin Catherine Colonna und ihrer burkinischen Kollegin Olivia Rouamba, die den Streitfall bereinigen sollten, waren nach Angaben des Quai d’Orsay zunächst für das Jahresende 2022 geplant, dann auf einen zunächst nicht bestimmten Termin verschoben und zuletzt ganz abgesagt worden. Ibrahim Traoré, der neue starke Mann in Ouagadougou, hatte sich bereits im Oktober kurz nach seiner Machtübernahme offen für eine engere Partnerschaft mit Moskau ausgesprochen und damit auch breite Zustimmung bei der ethnischen Mehrheit der Mossi gefunden, die rund 55 Prozent der Bevölkerung Burkina Fasos ausmachen.
Die Regierung in Frankreich sieht sich inzwischen in einer bisher nie dagewesenen Situation, in der sie ihren über Jahrzehnte gepflegten wirtschaftlich-militärischen Einfluss in den alten Kolonien und »Protektoraten« nahezu völlig zu verlieren droht. Hallade hatte diese Gefahr im vergangenen November auf Gutsherrenart kommentiert: Man werde »nicht auf das Engagement (in Burkina) verzichten, nur weil wir einige Attacken hinnehmen mussten«.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Gottfried W. aus Berlin ( 6. Januar 2023 um 08:20 Uhr)Ähnlich wie die US verlieren jetzt die französischen, spätkolonialen Netzwerke ihre Überwachungsknoten. Die französische koloniale Mutter muss im Innern den Untertanen die Augen ausschiessen, um noch die nötige Rendite für die kolonialen Abenteuer zu erwirtschaften. Früher musste der Krieg den Krieg ernähren, d. h. die Kosten eines Krieges wurden aus den überfallenen Gebieten abgepresst. Die Kämpfe der Klasse sind mittlerweile so gut organisiert, dass sich die Kriege nicht mehr so leicht aus der überfallenen Region refinanzieren lassen. Gut so. Peru und Mali, haltet aus. Auffallend ist, dass antikolonialen Kämpfe nicht so sehr auf Parlamente setzen können, sondern sich mit Waffen organisieren müssen.
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