Im Geiste Sarrazins
Von Nick Brauns
Berlins früherer Finanzsenator und Buchautor Thilo Sarrazin dürfte sich ebenso irritiert wie erfreut die Augen reiben. Erscheinen doch Positionen, für die er noch aus der SPD geworfen wurde, dort inzwischen salonfähig zu sein. »Wir haben in deutschen Großstädten ein Problem mit bestimmten jungen Männern mit Migrationshintergrund, die unseren Staat verachten, Gewalttaten begehen und mit Bildungs- und Integrationsprogrammen kaum erreicht werden«, behauptete so die sozialdemokratische Bundesinnenministerin Nancy Faeser gegenüber Zeitungen der Funke-Gruppe vom Mittwoch. Hintergrund sind Auseinandersetzungen zwischen Feierenden und Einsatzkräften in der Silvesternacht im Berliner Bezirk Neukölln, bei denen es zu Angriffen auf Polizei und Feuerwehr gekommen war. »Wir müssen gewaltbereiten Integrationsverweigerern in unseren Städten klar die Grenzen aufzeigen: mit harter Hand und klarer Sprache«, forderte die Ministerin nicht ohne den floskelhaften Zusatz »aber ohne rassistische Ressentiments zu schüren«.
Während die bei ihrer Ernennung von Linksliberalen als »Antifaschistin« gefeierte Bundesinnenministerin in die Fußstapfen ihres stockkonservativen Amtsvorgängers Horst Seehofer von der CSU tritt, versuchen die Unionsparteien rechtes Terrain mit Positionen wettzumachen, die früher eher mit der AfD assoziiert wurden. Obwohl die Berliner Polizei angab, von Vermummten attackiert worden zu sein, glaubte der fern von Neukölln an der Elbe lebende CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries bereits am Dienstag auf Twitter, bei den Tatverdächtigen einen »Phänotypus: westasiatisch, dunklerer Hauttyp« auszumachen.
Unter 145 in der Silvesternacht längst nicht nur im Zusammenhang mit Angriffen auf Einsatzkräfte vorübergehend Festgenommenen waren laut Polizei 45 Deutsche sowie Personen mit 17 weiteren Nationalitäten, darunter 27 Afghanen und 21 Syrer. Im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses hat die CDU-Fraktion nun einen umfangreichen Fragenkatalog eingereicht, in dem sie behauptet, »dass der überwiegende Teil des Täterkreises der Attacken auf die Einsatzkräfte offensichtlich aus jungen Männern mit Migrationshintergrund besteht«. Wissen will die CDU nicht nur, ob die deutschen Tatverdächtigen noch eine weitere Staatsangehörigkeit haben. Gefragt wird auch: »Wie lauten die Vornamen der Tatverdächtigen mit deutscher Staatsbürgerschaft.« Seine Partei wolle wissen, ob es bei Verdächtigen mit deutschem Pass einen Migrationshintergrund gäbe, verteidigte der innenpolitische Sprecher der CDU, Frank Balzer, am Donnerstag gegenüber dpa die Anfrage.
Es ginge der CDU wohl darum, deutschen Tatverdächtigen ihr »Deutschsein abzusprechen«, schrieb dagegen Niklas Schrader, innenpolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke im Abgeordnetenhaus, auf Twitter, er sprach von einem »neuen Gipfel der Schäbigkeit«. Der Grünen-Abgeordnete Vasili Franco beklagte gegenüber dpa die »Verbreitung von rassistischen Ressentiments«.
Wohin die – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus Mitte Februar – losgestoßene rassistische Debatte in letzter Konsequenz führt, hat die AfD bereits zu Wochenbeginn deutlich gemacht. Deutsche »Straftäter mit Migrationshintergrund werden wir erst ausbürgern und dann abschieben. Ganz einfach«, so der Brandenburger AfD-Bundestagsabgeordnete René Springer auf Twitter.
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