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Aus: Ausgabe vom 06.01.2023, Seite 2 / Inland
Umweltzerstörung

»Von Erholung der Oder kann nicht die Rede sein«

Nach Massensterben von Fischen und anderen Tieren im Grenzfluss bleibt das Risiko einer erneuten Katastrophe hoch. Ein Gespräch mit Tobias Arbinger
Interview: Kristian Stemmler
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Todesfalle für Fische: Die Oder bei Eisenhüttenstadt (17.9.2020)

Im Sommer kam es zu einer Umweltkatastrophe in der Oder, einem massenhaften Sterben von Fischen, Muscheln und anderen Tieren. Der WWF warnt, die Katastrophe sei noch nicht vorbei. Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?

Wir stützen uns wiederum auf Einschätzungen aus der Wissenschaft, beispielsweise des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin. Die Umweltkatastrophe in der Oder ist Folge menschlichen Handelns. Zum Entstehen der Giftwelle, die im Sommer durch die Oder zog, trugen verschiedene Faktoren bei, unter anderem ein unnatürlich hoher Salzgehalt. Im Dezember veröffentlichte Untersuchungen des Instituts deuten darauf hin, dass der Fisch- und Muschelbestand der Oder durch die Katastrophe um die Hälfte dezimiert wurde. Polnische Untersuchungen bestätigen dieses Ergebnis bei den Fischen. Hinzu kommt die Salzbelastung, die bei den aktuellen Messungen der Bundesanstalt für Gewässerkunde sogar noch größer war als im Sommer. Es besteht daher ein hohes Risiko, dass sich die Katastrophe wiederholt. Von einer Erholung der Oder kann nicht die Rede sein.

Was macht die Oder ökologisch so bedeutsam?

Sie ist einer der letzten großen, vergleichsweise naturnahen Flüsse in Europa. Sie fließt auf rund 500 Kilometern ohne künstliche Barrieren bis ins Meer und ist als Tieflandstrom durch ihre ausgedehnten und artenreichen Auen geprägt. Fische und andere Tiere können diesen langen, frei fließenden Flussabschnitt ungehindert durchwandern und die unterschiedlichen Lebensräume erreichen, die sie im Laufe ihres Lebens benötigen. Ihr vergleichsweise natürlicher Zustand hat auch damit zu tun, dass die Oder nahezu keine Bedeutung mehr für die Güterschiffahrt hat.

Der WWF sieht eine der Ursachen für die Umweltkatastrophe in den Ausbauarbeiten auf der polnischen Seite. Was geschieht dort?

Der von der Bundesrepublik und der Republik Polen im Jahr 2015 vereinbarte Ausbau der Grenzoder sieht eine Einengung des Flusses und die Befestigung seiner Ufer unter anderem zur Verbesserung der Schiffbarkeit und zum Hochwasserschutz durch den Einsatz von Eisbrechern vor. Das beinhaltet Regulierungs-, Abriss- und Umbauarbeiten vor allem an Buhnen und Uferbefestigungen. Dass Hochwasserrisiken dadurch wirklich verringert werden, ist jedoch fraglich.

Im Klartext laufen die Arbeiten auf eine Kanalisierung des Flusses und die Verödung von Lebensräumen hinaus. Die Selbstreinigungskraft der Oder und die Fähigkeit des Ökosystems, sich zu regenerieren, werden weiter geschwächt. Die nach der Umweltkatastrophe dringend notwendige Genesung wird behindert. Im Gegenteil, durch die Arbeiten werden bereits gebundene Schwermetalle mobilisiert.

Auch Deutschland hat Ausbaupläne. Was soll da genau passieren und wie könnte sich das auswirken?

Das müssen Sie den Bundesverkehrsminister fragen. Obwohl grundsätzliche Planungen wie die sogenannte Stromregelungskonzeption seit 2014 vorliegen, haben wir bislang keine konkreten Angaben zur Umsetzung auf deutscher Seite.

Welche Forderungen haben Sie an die drei Anrainerstaaten Deutschland, Polen und Tschechien?

Wir agieren im Hinblick auf die Oder gemeinsam mit Partnerverbänden im »Aktionsbündnis lebendige Oder«. Hier fordern wir und unsere Partner zunächst einmal die Einhaltung geltender europäischer Gesetze und damit verbundene Verschlechterungsverbote. Zu nennen sind hier die Wasserrahmenrichtlinie und die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie, aber auch die Richtlinie zum Hochwasserrisikomanagement.

Außerdem fordert unser Bündnis ein »Aktionsprogramm Oder«. Das umfasst zuallererst den sofortigen Ausbaustop, aber auch die Wiederherstellung der Widerstandsfähigkeit des Flusses durch ein Renaturierungsprogramm. Nebengewässer und Altarme könnten dafür wieder angeschlossen werden. Auch für den Hochwasserschutz wichtige Auen und Moore müssen geschützt und großräumig wiederhergestellt werden. Der dramatische Verlust an Fischen, Muscheln und anderen Weichtieren, sowohl in absoluter Zahl als auch bei der Artenvielfalt, sowie die unvorhersehbaren Konsequenzen für das Ökosystem der Oder erfordern rasches, umfassendes politisches Handeln und ein verbindliches Maßnahmenpaket.

Tobias Arbinger ist Pressesprecher der Stiftung WWF Deutschland

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