Nachschlag: Grob destruktiv

Wer wenig über die russische Revolution weiß, hat zumindest schon einmal von Lenins »politischem Testament« gehört, also jenen Aufzeichnungen vom Dezember 1922 und Januar 1923, in denen der gesundheitlich angeschlagene Kommunist, eine Spaltung befürchtend, ein paar kritische Bemerkungen über die führenden Leute der Partei gemacht hatte. Der »zu grobe« Stalin kam dabei nicht gut weg – jener Mangel könne »in der Funktion des Generalsekretärs nicht geduldet werden«. Das Dokument wird von Leuten, die die Geschichte der Sowjetunion als die bösartig-verworfener Parteiführer erzählt wissen wollen, zur Beglaubigung dieser antimaterialistischen Perspektive herangezogen. Auf diese Pointe will selbstverständlich auch das 100 Jahre später fällige »Kalenderblatt« im Deutschlandfunk hinaus. Als Chruschtschow dem »Testament« 1956 Reichweite verschaffte, habe er den »Stalinismus als destruktive Abweichung innerhalb der sowjetischen Geschichte« darstellen wollen. Beim Kölner Sender ist jedem klar, dass jene Geschichte eine einzige »destruktive Abweichung« war. (np)
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