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Aus: Ausgabe vom 27.12.2022, Seite 11 / Feuilleton
Fotografie

Die Kraft der klaren Bilder

Die Fotoausstellung »Tina Modotti. Revolution und Leidenschaft« in Berlin
Von Christian Lelek
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Tina Modotti: Frau aus Tehuantepec, 1929

Tina Modotti wird 1896 im industriellen Udine geboren. Bereits nach der vierten Klasse arbeitet sie in einer Seidenfabrik, bevor sie ihr in die USA ausgewanderter Vater zu sich holt. Die Familie lebt seitdem getrennt. Modotti kommt in San Francisco bald mit linksintellektuellen Kreisen in Berührung, erhält ihre erste Kamera.

Der Fotograf Cornell Capa prägte in den 1960er Jahren den Begriff der Concerned Photography (wörtlich: betroffene Fotografie). So bezeichnete er die Arbeiten von Fotografinnen und Fotografen, die nicht nur versuchten, Wirklichkeit abzubilden, sondern bewusst auf Unrecht aufmerksam zu machen, um es zu bekämpfen. Tina Modotti tat genau das: Ihr Hauptwerk entstand während der 1920er Jahre im postrevolutionären Mexiko, das ihre Wahlheimat wurde. Sie fotografierte auch Porträts, Architektur und Stillleben, doch das Gros ihrer Arbeit widmete sie den gesellschaftlichen Verhältnissen. Sie ging in die Stadtviertel der Armen und bereiste die ländlichen indigenen Regionen, um die Zustände dort einzufangen. Im Fokus stehen Situationen aus dem von ständiger Arbeit geprägten Alltag und die Lage der Frauen. Eine Auswahl ist derzeit unter dem Titel »Tina Modotti. Revolution und Leidenschaft« in der Berliner Galerie F³ – Freiraum für Fotografie zu sehen.

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Tina Modotti: Hände eines Bauarbeiters, Mexiko 1926

Modotti verharrt nicht beim fotografischen Festhalten von Missständen. Durch das Ablichten von Arbeiterversammlungen und Gewerkschaftsdemonstrationen zeigt sie zugleich Handlungsmöglichkeiten auf. Auch abseits der Kamera ist sie politisch aktiv. Modotti ist eine der wenigen Frauen in einer männlich dominierten Szene. 1927 tritt sie in die Kommunistische Partei Mexikos ein, wird ihre Dokumentaristin. 1930 wird sie wie viele Linke nach einem Attentat auf den Präsidenten Pascual Ortiz Rubio ausgewiesen. Es gibt keine Hinweise darauf, dass sie anschließend jemals wieder fotografiert hat. Nach Aufenthalten in Berlin, Moskau, Paris und Spanien, wo sie Zeugin des Kampfes um die Republik wird und für die Internationale Rote Hilfe arbeitet, kehrt sie 1939 nach Mexiko zurück, wo sie 1942 mit nur 46 Jahren an einem Herzanfall stirbt.

Modotti arbeitet mit starken, klaren Motiven. Das Schwarzweiß unterstützt die Konzentration auf die Sache, Menschen in ihrer Gegenwart. Ihr geht es nicht in erster Linie um die jeweils abgebildeten Personen, schon gar nicht um sich selbst. In ihrem »Manifest über Fotografie« von 1929 schreibt sie sinngemäß, dass die Fotografie Teil der »gesellschaftlichen Produktion« sei. Der Fotografin komme die Verantwortung zu, der Fotografie den Platz zuzuweisen, den sie in der »historischen Entwicklung« einnehmen soll. Wo Modotti den Platz ihrer Aufnahmen sah, daran lassen diese keinen Zweifel aufkommen.

Bis 5. Februar 2023: »Tina Modotti. Revolution und Leidenschaft«. F³ – Freiraum für Fotografie, Berlin, Walde­marstr. 17, https://fhochdrei.org

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