Knöpfe
Von Helmut Höge
»Wo rohe Kräfte sinnlos walten, da kann kein Knopf die Hose halten«, heißt es zur Hälfte in Schillers »Lied von der Glocke«. Wenn mir ein Knopf fehlt, gehe ich in den Laden von Knopf-Paul. In seiner Geschäftschronik steht: »In den 70er Jahren, als die schnell zu handhabenden Reißverschlüsse das mühevolle Knöpfen verdrängten, gerieten Knopfdesigner ins modische Abseits, und genau in dieser Zeit begann ich mit meinem Knopfhandel.«
Damals haben wir noch gelacht über Pauls närrische Knopfsammelei, nicht ahnend, dass die antiautoritäre Bewegung (APO) schon vorbei war – und wieder die Reintegration in das »Schweinesystem« anstand. Knopf-Paul hatte schon als Schüler das Sortiment eines aufgelösten Knopfladens übernommen, »um nebenbei Geld zu verdienen«. Als Michael Wewerka 1970/71 den ersten Flohmarkt an der TU organisierte, mietete auch Paul einen Stand, aber »trotz Verkauf und Tausch« häuften sich bei ihm »immer mehr Schätze an«.
1979 eröffnete er seinen ersten Laden, 1983 mietete er ein Kellerlager an: »Hier wurden eigene Knopfkreationen erfunden und gemacht, gesammelt und sortiert, gekauft und verliehen, geschätzt und getauscht.« 1987 zog er mit seinem »Knopfimperium« nach Kreuzberg in die Zossener Straße, wo er noch heute zu finden ist. Sein Angebot umfasst »Herzchen aus Kunststoff, dicke Knupper aus Holz, Lederknebel, Posamente, Büffelhornknöpfe, polierte Kokosnussknöpfe, schokobraun mit weißen Einsprengseln. Es gibt Beinknöpfe, geritzt und geschnitzt, Pflanzliches und Tierisches und alte Glasknöpfe, die grünlich glänzen wie Kompottschüsselchen.«
Einige der Glasknöpfe in Knopf-Pauls Sammlung wurden eventuell vom Dichter Erich Fried hergestellt. Er war als 17jähriger 1938 gleich nach der Besetzung Österreichs nach London emigriert. Dort lernte er die Marxisten Jürgen Kuczynski und Alfred Sohn-Rethel kennen. Fried ging zunächst seinen technischen Interessen nach, studierte in der Bibliothek physikalische und chemische Tests über Milch und fing als »Milchchemiker« bei der Londoner zentralen Milchversorgungsstelle an. Dann brauchte er jedoch neue Herausforderungen und arbeitete zusammen mit der Schriftstellerin Ilse Aichinger als »Glasknopferzeuger« in einer Glasfabrik.
Die Firma hatte der jüdische Dichter Fritz Lampl noch in Wien gegründet, er nannte sie »Bimini« nach einer Trauminsel in einem Gedicht von Heinrich Heine. Nach London entkommen, gründete er sie als »Orplid« (nach Mörike) neu. »Lampl hatte sich damals diese Traumfabrik im Exil eingerichtet. Er war ein schlechter Dichter, aber ein großartiger Glasbläser und hat handgemachte Glasknöpfe mit sehr geschmackvollen Mustern, die mit Stempeln in das noch weiche Glas gedrückt wurden, für den Export nach Amerika hergestellt.« (Fried)
Erich Fried stellte am Bunsenbrenner eine Glaskugel her, legte sie auf eine Feile, »damit sie auf einer Seite aufgeraut wird«, und drückte einen Stempel mit dem Muster drauf. Mitunter wurde der Knopf noch mit einer Pinzette an vier oder sechs Seiten eingedellt. Der immer und überall an praktischen Verbesserungen interessierte Dichter ließ sich etwas einfallen: Er baute ein Gerät, »an dem die Zacken schon dran waren, so dass man die Glasknöpfe nicht mehr extra einzudellen brauchte.«
Viele Jahre später erfand er nach einer Krebsoperation noch einiges zur Verbesserung seiner Lage. Man hatte ihn nach dem Eingriff an einen Dauerkatheter angeschlossen: »Da hatte ich mir ausgedacht, man sollte mir einen längeren geben. Der Katheter hat vorne eine Abklemmvorrichtung, wenn er länger war, konnte man ihn umbiegen, und mit dem umgebogenen Teil war es möglich, wieder Geschlechtsverkehr zu haben, was auch ein Vorteil ist.«
Zurück zu den Knöpfen: Von meiner Mutter hatte ich ein großes Glas mit Perlmuttknöpfen geerbt, für die ich nie Verwendung hatte, aber sentimentale Gefühle hegte. Bei irgendeinem Umzug vergaß ich das Knopfglas. Als ich anlässlich einer Rede von Werner Tübke im Panorama-Museum auf dem Schlachtberg in Bad Frankenhausen, wo sein Monumentalgemälde »Frühbürgerliche Revolution in Deutschland« hängt, erfuhr, dass es unten im Ort einst eine üppige Perlmuttknopfherstellung gab, fiel mir das Knopfglas meiner Mutter wieder ein. Gerne hätte ich es dem Regionalmuseum im Schloss von Bad Frankenhausen vermacht …
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