Es ist ausdiskutiert
Von Gabriel Kuhn
Nach den vorgezogenen Parlamentswahlen vom 1. November 2022 bleibt Mette Frederiksen dänische Ministerpräsidentin, allerdings in neuer Konstellation. Wie am Dienstag abend bekanntwurde, wird sie nicht mehr, wie nach ihrem Amtsantritt im Juni 2019, eine sozialdemokratische Minderheitsregierung anführen, sondern eine große Koalition. Wurde die Minderheitsregierung von der Sozialistischen Volkspartei, der linken Einheitsliste, den Sozialliberalen und der grün-liberalen Alternative unterstützt, arbeiten die Sozialdemokraten nun zusammen mit den rechtsliberalen Venstre, der traditionell stärksten Partei des bürgerlichen Lagers. Hinzu kommen die Moderaten, die neue Zentrumspartei von Lars Løkke Rasmussen, der bis 2021 Mitglied von Venstre und Vorgänger Frederiksens im Amt des Ministerpräsidenten war. Die neue Regierungskoalition wird damit von den drei Parteien gebildet, die bei den Wahlen im November am besten abschnitten: Die Sozialdemokraten erhielten 27,5 Prozent der Stimmen, Venstre 13,3 Prozent und die Moderaten 9,3 Prozent.
Schon am Wahlabend hatte Frederiksen ihre Absicht kundgetan, eine breite Regierungskoalition bilden zu wollen. Dänemark sei dafür »bereit«. Die Verhandlungen zogen sich jedoch hin. Noch nie zuvor in der parlamentarischen Geschichte Dänemarks nahm eine Regierungsbildung 45 Tage in Anspruch. Es gab viel auszudiskutieren. Erst einmal, vom August 1978 bis zum Oktober 1979, bildeten Sozialdemokraten und Venstre gemeinsam eine Regierung.
Zu Beginn der Verhandlungen wurden mehrere der zwölf im dänischen Parlament vertretenen Parteien (Zweiprozenthürde) eingeladen, übrig blieben am Ende nur die drei stärksten. Als letzte scherten die Sozialliberalen aus. Sie meinten, dass sie sich in einigen Bereichen – Klima, Bildung, Jugendpolitik – nicht mit den anderen Parteien hatten einigen können. Ohne die Sozialliberalen wäre es im übrigen gar nicht zu vorgezogenen Parlamentswahlen gekommen. Sie hatten Frederiksen im Juni 2022 das Vertrauen entzogen, nachdem eine Regierungskommission die Keulung von 17 Millionen Nerzen im November 2020 für gesetzeswidrig erklärt hatte. Frederiksen hatte die Keulung damals angeordnet, als auf dänischen Nerzfarmen eine Mutation des Coronavirus entdeckt worden war.
Die neue Regierung mache sie »sehr glücklich und stolz«, wie Frederiksen bei der Präsentation des 63seitigen Regierungsprogramms am Mittwoch erklärte. Der Vorsitzende der Venstre, Jakob Ellemann-Jensen, brach gleich zwei Wahlversprechen, um mitmachen zu dürfen: Nicht nur hatte er erklärt, Frederiksen niemals zum Amt der Ministerpräsidentin verhelfen zu wollen – wegen der Nerzkeulungen wollte er sogar ein Rechtsverfahren gegen sie einleiten. Nun ist davon keine Rede mehr. Ellemann-Jensen rechtfertigte dies am Mittwoch mit Verweis auf die »politischen Realitäten«. Zur Seite stand ihm Lars Løkke Rasmussen, der sich in der Rolle des staatsmännischen Vermittlers zwischen Sozialdemokratie und bürgerlichem Block gefällt: »Es ist nun mal das Wesentliche solcher Regierungsverhandlungen, dass man sich von Sachen befreit, bei denen man zu dogmatisch war.«
Frederiksen meinte, im Regierungsprogramm der Koalition stecke viel »sozialdemokratische DNA«. Vielleicht denkt sie dabei an Taschenspielertricks, für die sich die neuen Regierungsparteien offenbar nicht zu schade sind. 300 Millionen Euro zur Erhöhung der Löhne im öffentlichen Dienst hatten die Sozialdemokraten vor den Wahlen versprochen. Sie dürfen das Versprechen halten – weil die Gelder schrittweise bis zum Jahr 2030 ausgeschüttet werden sollen. Steuern für Spitzenverdiener werden gesenkt, dafür wird ein öffentlicher Feiertag abgeschafft, um den Verteidigungshaushalt aufzufetten.
Die Sozialistische Volkspartei, die Einheitsliste und die Alternative bilden nun die linke Opposition im Parlament. Die rechte setzt sich mit den Dänendemokraten, der Liberalen Allianz, der Konservativen Volkspartei, den Neuen Bürgerlichen und der Dänischen Volkspartei aus diversen neoliberalen und nationalistischen Gruppierungen zusammen.
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