Druck unterm Deckel
Von Jörg Kronauer
Sie ist eines der angeblichen Aufbruchprojekte der frühen Biden-Ära gewesen: die im September vergangenen Jahres neu geschaffene Institution mit dem dürren, bürokratischen Namen EU-U.S. Trade and Technology Council (TTC), die am Montag zum dritten Mal zusammentraf. Ihre Grundidee: Nach den transatlantischen Konflikten der Ära Trump sei dank des neuen Präsidenten Joseph Biden zwischen EU und USA nun alles wieder im Lot. Man könne sich jetzt gemeinsam, Seite an Seite, fitmachen, sich wappnen, um im großen Kampf um die Weltmacht gegen das allzu starke China zu bestehen. Der Plan: Weil in diesem Machtkampf Handelsregeln und Technologiestandards eine zentrale Rolle spielten, werde man sich darüber abstimmen, um als westlicher Block geschlossen auftreten zu können. Das war die offizielle Position.
Was sich schon damals unterhalb der PR-Oberfläche recht deutlich abzeichnete, bestätigt sich nun: Mit der Gründung des TTC sind die transatlantischen Differenzen nicht aufgehoben; sie werden lediglich in einem weiteren Gremium ausgetragen, und von einem Ende von America First kann auch unter Biden keine Rede sein. Während sich die EU etwa die Festlegung gemeinsamer Standards bei künstlicher Intelliganz (KI) erhofft – allein könnte sie sich gegen die KI-Supermacht China wohl kaum behaupten –, wünschen die USA Absprachen über gemeinsame Hightechsanktionen gegen die Volksrepublik. Konkret sollen die EU-Staaten am US-Versuch teilnehmen, China von Hochleistungschips abzuschneiden. Das aber lehnen sie ab: Allzu wichtig ist für einige von ihnen, darunter Deutschland, das China-Geschäft. Selbst transatlantische Hardliner von den Grünen weisen den Gedanken an ein Decoupling, eine komplette Entkopplung von China, meist zurück. Washington ist sauer.
Umgekehrt macht sich mittlerweile auch auf EU-Seite Wut breit. Washington stellt Hunderte Milliarden US-Dollar an Fördergeldern für die Energiewende, für Elektroautos und vieles mehr nur für Produkte made in USA bereit. Die Folge: Konzerne aus der EU denken darüber nach, ihre Produktion aus Europa in die Vereinigten Staaten zu verlegen. Das bringt die EU, die ohnehin wegen der hohen Energiepreise mit Abwanderungstendenzen in der Industrie konfrontiert ist, in ernste Schwierigkeiten: Eine gewisse Deindustrialisierung droht. Die USA haben ihre Milliardenprogramme – wie kann es auch anders sein – im Alleingang beschlossen, ohne die Verbündeten in Europa zu konsultieren. Dabei wäre aus deren Sicht der TTC das geradezu perfekt geeignete Gremium dafür gewesen. Am Montag war – nach jW-Redaktionsschluss – im TTC Streit darüber angesagt. Allerdings ist sich die EU nicht einig; während Frankreich in der Sache eine harte Konfrontation einfordert, dringt die Bundesregierung – wohl mit Rücksicht auf das viel umfassendere deutsche Geschäft in den USA – auf eine »Verhandlungslösung«. Das macht es Washington leicht, an seinem Kurs festzuhalten und die EU einfach zu spalten.
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