Dauerhaft preiswert
Von Oliver Rast
So geht das: Initiative ergreifen, Kontroverse auslösen. Der Deutsche Mieterbund (DMB) hat am Montag ein Konzept zur »Neuen Wohngemeinnützigkeit« (NWG) vorgelegt. Und die Zeit drängt: Die NWG sei »die Antwort auf den dramatischen Mangel an preiswerten Wohnungen und das ständige Steigen der Mieten«, sagte Lukas Siebenkotten in Berlin. Der DMB-Präsident will Druck machen Richtung Bundeskabinett. Denn die NWG steht im Koalitionsvertrag der Ampelregierung. Nicht als bloßer Prüfauftrag, »sondern als klare Maßgabe«.
Es könnte funktionieren. Der DMB habe »einen ersten großen Aufschlag für die Debatte zur Wohngemeinnützigkeit« gewagt, sagte die parlamentarische Staatssekretärin im Bundesbauministerium (BMWSB), Cansel Kiziltepe, am Mittwoch zu jW. Ein »Dialogverfahren zur NWG« solle noch vor Jahresende starten, die Detailarbeit mit Beginn des neuen Jahres fortgesetzt werden »mit den Partnern aus der Wohnungswirtschaft, Wissenschaft, Gewerkschaften und der Zivilgesellschaft«. Beides werde dann, so Kiziltepe weiter, die Grundlage für einen Gesetzentwurf sein.
Was bedeutet die NWG? Zunächst: Richtig neu ist das nicht. Eher eine Neuauflage. Unter Exkanzler Helmut Kohl (CDU) war die gesetzliche Gemeinnützigkeit für Vermieter 1990 abgeschafft worden. Die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen hatten sich damals dazu verpflichtet, Mietsteigerungen dauerhaft zu deckeln. Wohnraum aus dem öffentlich geförderten Wohnungsbau fiel nicht nach 20 oder 30 Jahren aus der Sozialbindung. Und: die auszuschüttende Rendite war auf vier Prozent begrenzt, Firmenvermögen für den Wohnungsbau vorgesehen. Der Kerngedanke: Wohnungsunternehmen sollten auf maximale Ausbeute verzichten, erhielten dafür Steuerboni und Zuschüsse. Und die neu-alte Idee hinter dem DMB-Konzept? Ein stufenweises Fördermodell. Vereinfacht ausgedrückt: Vermieter werden steuerlich weniger belastet und höher bezuschusst, je mehr einkommensschwache Personen bei ihnen zur Miete wohnen. Eine konkrete Auflage dabei: Bestandsmieten müssten 20 Prozent unterhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete bleiben. Mindestens.
Richtig, findet Rolf Bosse. Schließlich hätten »die Kräfte des freien Marktes unter anderem zur Verknappung des Wohnraums geführt«, sagte der Geschäftsführer des Mietervereins zu Hamburg am Mittwoch im jW-Gespräch. Besonders in Ballungszentren. Mehr noch, die Abschaffung der Wohngemeinnützigkeit sei ein gravierender Fehler gewesen und habe »stark zur Mietenexplosion beigetragen«, betonte die wohnungspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Die Linke, Caren Lay, gegenüber dieser Zeitung. Jan-Marco Luczak sieht das Problem hingegen woanders: Bauland fehlt, ferner sei das Bauen »heute viel zu kompliziert, langwierig und zu teuer«, so Lays Ressortkollege aus der Unionsfraktion. Und: Wenn Wohnkontingente nur an Personen bestimmter Einkommensgruppen vermietet werden dürften, drohe die Gefahr, »dass Quartiere in soziale Schieflage geraten«. Gefahr? Die rühre aus der annullierten Wohngemeinnützigkeit, konterte Katrin Schmidberger, Sprecherin für Wohnen und Mieten der »grünen« Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Denn: »Allein in der Hauptstadt fallen dieses Jahr 5.000 Wohnungen aus der Sozialbindung, verheerend.«
Und die Reaktionen der Immobilienlobby? Erwartbar distanziert. »Ein zusätzlicher Nutzen einer NGW ist nur sehr schwer zu erkennen«, sagte Axel Gedaschko, Präsident des Spitzenverbands der Wohnungswirtschaft GdW, auf jW-Nachfrage. Vielmehr solle man »auf bewährte Maßnahmen bei sozial verantwortungsvollen Marktteilnehmern setzen«, statt »neue Experimente zu starten, die womöglich keinen Erfolg bringen.« Deutlicher reagierte der Interessenverband »Haus & Grund«. Mit der NGW würde eine »Bürokratie aus dem Boden gestampft«, die vorrangig »Mieterfunktionäre« versorge, meinte Haus-und-Grund-Präsident Kai Warnecke gegenüber jW. Ein »Milliardengrab«. Bosse vom Mieterverein der Hansestadt ruft unverdrossen auf: Alle Akteure im Wohnungssektor seien gefordert, »die NGW umzusetzen, erfolgreich«.
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