»Auflagenpolitik raubt uns den letzten Nerv«
Interview: Oliver Rast
Landwirte auf nitratbelasteten Böden müssen ihren Düngereinsatz reduzieren. Jüngst hatte die zuständige Ministerin die Landesdüngeverordnung von NRW den Vorgaben der EU-Kommission entsprechend angepasst und weitere landwirtschaftliche Nutzflächen als »rote Gebiete« ausgewiesen. Ist nun alles gut?
Überhaupt nicht. Die Düngeverordnung war bereits 2017 und 2021 reformiert worden. Seitens der Landespolitik wurde uns Landwirten gegenüber immer suggeriert, nun gäbe es eine rechtssichere Fassung, würde unter anderem an einer sogenannten Binnendifferenzierung gearbeitet.
Die besagt was?
Na, dass an den rund 1.300 Grundwassermessstellen in NRW ermittelt wird, wer für erhöhte Nitratwerte ursächlich verantwortlich ist, sprich: nach dem Verursacherprinzip gehandelt wird. Denn wir als Landwirte sind bei weitem nicht für jeden Eintrag von Stickstoff im Boden gewissermaßen haftbar zu machen. Und: Ich rechne nicht damit, dass sich die Werte durch die erneute Reform nennenswert verändern werden.
Weshalb?
Ganz einfach, in den vergangenen Jahren sind in Deutschland die Nutztierzahlen pro Hektar Acker genauso rückläufig wie der Absatz an Mineraldünger. Gut ausgebildeten Praktikern in der Landwirtschaft pauschal vorzuwerfen, sie würden ökologische Probleme durch »Überdüngung« verursachen, scheint mir aus der Zeit gefallen. Es braucht dringend eine ergebnisoffene Untersuchung an einzelnen Messstellen bezüglich der Einträge, sonst lassen sich auch keine Lösungsansätze ableiten. Das kritisieren wir als Landwirte seit etlichen Jahren.
Lassen Sie uns konkret zu den Einschränkungen in »roten Gebieten« kommen …
Gerne. Am problematischsten ist die Begrenzung der zulässigen Düngung der einzelnen Schläge auf 80 Prozent der zur Ertrags- und Qualitätssicherung benötigten Düngermenge. Schon heute wird einzelschlagspezifisch anhand von Ertragserwartung, also auf Basis des Durchschnittsertrags der vergangenen Jahre, ein Düngebedarf ermittelt. Eine Fläche, die aufgrund der Bodenqualität nicht allzu hohe Erträge hervorbringt, hat einen niedrigeren Bedarf als Topstandorte. In den »roten Gebieten« ist die Kernauflage, die Hauptkultur 20 Prozent zu unterdüngen, also bewusst unter dem Bedarf der Pflanzen zu bleiben.
Und was beklagen Sie ferner?
Die Herbstgabe Stickstoff ist bei Winterraps, Wintergerste und Zwischenfrüchten nicht mehr zulässig. Es gibt aber Ausnahmen. So lässt sich Winterraps düngen, falls die im Boden verfügbare Stickstoffmenge unter einem speziellen Wert liegt. Auf Grünland verlängert sich die Sperrfrist für organischen Dünger um zwei Wochen und gilt vom 1. Oktober bis zum 31. Januar.
Rechnen Sie wegen der Auflagen mit Ernterückgängen?
Selbst auf langjährig organisch gedüngten Böden, welche eine gewisse Nachlieferung über einige Jahre bringen werden, wird spätestens mittelfristig die Ertragserwartung sinken. Auch ist ein Zwischenfruchtanbau ohne Andüngung im Herbst aus meiner Sicht nur bedingt sinnvoll bzw. möglich. Das wird grade auf unseren Sandböden im Münsterland zu großen Problemen und zum Humusabbau führen.
Einige Bauernverbände befürchten, dass der Selbstversorgungsgrad hierzulande weiter sinken wird. Wie sehen Sie das?
Ach, die Versorgungssicherheit dieses Landes ist mir mittlerweile egal. Dennoch ein Beispiel: Unser Selbstversorgungsgrad bei vielen Obst- und Gemüseprodukten, die bei uns gut wachsen, liegt bei 30 Prozent, teils darunter. Aber, gefühlt spielt dieser Faktor trotz all unserer Warnungen bei keiner landwirtschaftspolitischen Entscheidung eine relevante Rolle. Die handelnden Politiker müssen wissen, was sie da tun.
Nur, haben wir nicht eher ein Problem mit landwirtschaftlichen Produkten, die in der Tonne landen?
Ohne Frage. Diese Wegwerfmentalität sagt viel über die Wertschätzung von Lebensmitteln aus. Noch mal grundsätzlich, meine Kollegen und ich haben ein Interesse an vernünftigem Ackerbau, an guter Haltung unserer Tiere, daran, gesunde und auch bezahlbare Lebensmittel und Energie zu produzieren. Das jahrzehntelange Pingpong zwischen Landesregierung, Bund und EU-Kommission mit immer neuen, fachlich nicht nachvollziehbaren Auflagen und Dokumentationspflichten raubt Landwirten aber den letzten Nerv, ein Ende ist leider nicht in Sicht.
Ulrich Knippenberg bewirtschaftet in Lengerich einen Betrieb mit Bullenmast, Ackerbau und einer Biogasanlage. Er ist aktiv im Verband Land sichert Versorgung (LsV) NRW
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