Todesfall bei Amazon
Von Susanne Knütter
Als Reporter sich vor Ort erkundigen wollten, wurden die Beschäftigten angewiesen, sich nicht zu dem Todesfall zu äußern. Sie sollten die Journalisten an die Pressestelle von Amazon verweisen. Das berichtete ein Arbeiter vom Amazon-Logistikzentrum in Leipzig, der vor Ort war, als sein Kollege beim Sortieren der Pakete zusammenbrach, am Freitag gegenüber jW.
Geschehen war das bereits am 15. August kurz vor Ende der Frühschicht. Bekannt wurde der Fall aber erst diese Woche durch die Rechercheplattform Correctiv. Der Arbeiter des Handelsriesen, der anonym bleiben möchte, schätzte seinen Kollegen auf »Mitte, Ende 40«. Seine Aufgabe war es, Pakete in Container zu sortieren. »Mehrere 100 pro Stunde.« Das schwerste wiege mehr als 20 Kilogramm. Besonders die Frühschicht sei anstrengend. Nach der halbstündigen Pause werde nonstop durchgearbeitet, so der Amazon-Arbeiter. Viele Beschäftigte nähmen Schmerzmittel, bevor sie zur Schicht kommen, sagte Betriebsratsmitglied Thomas Rigol am Freitag gegenüber jW.
Für besonderen Unmut unter den Beschäftigten sorgt der Umgang der Leitung mit dem Tod ihres Kollegen. Um den Verstorbenen wurde ein provisorischer Sichtschutz aufgebaut. Die Spätschicht aber nicht abgesagt. »Allen Mitarbeitenden dieser und der folgenden Schichten wurde freigestellt, bezahlt nach Hause zu gehen«, erklärte Amazon am Freitag gegenüber jW. Solche Angebote habe es zwar gegeben, so Rigol. Zu dem Zeitpunkt sei aber weder klar gewesen, ob bezahlt oder unbezahlt, noch, ob das Versprechen für alle galt. Das bestätigte auch der anonyme Arbeiter.
Auch mit Blick auf Schmerzen und Stress hatte Verdi rund um den umsatzstarken »Black Friday« am Freitag wieder tausende Beschäftigte zum Streik aufgerufen. Nicht nur in Leipzig, auch in den »Fulfillmentcentern« bei Bremen und Augsburg, in Bad Hersfeld, Dortmund, Koblenz, Rheinberg, Werne und Winsen (Luhe) legten die Kollegen die Arbeit nieder. Sie kämpfen unter anderem für einen Tarifvertrag »Gute und gesunde Arbeit«.
Amazon betonte am Freitag gegenüber jW, dass es sich um einen natürlichen Tod gehandelt habe. Das hatte auch die Polizei bestätigt. Aus Sicht des Betriebsrats Rigol müsse geprüft werden, ob Arbeitsdruck eine Rolle spielte oder der Kollege sich krank zur Arbeit geschleppt habe. Ob der Betriebsrat so eine Untersuchung fordert, ist allerdings fraglich. Die Verdi-Liste, zu der auch Rigol gehört, ist seit der Neuwahl im Januar in der Minderheit. Nun hätten Vertreter die Mehrheit, die zum Teil im Interesse der Geschäftsführung oder in ihrem eigenen Interesse handelten, erklärte Rigol gegenüber jW.
Informationen über Arbeitsschutz und Rechte am Arbeitsplatz verteilte Verdi am Freitag auch unter Amazon-Fahrern in Völklingen. In der Regel seien sie bei Subunternehmen beschäftigt und müssten 250 bis 300 Pakete pro Tag ausliefern. In acht Stunden kaum zu schaffen. Bis zu 31 Kilogramm seien momentan erlaubt, erklärte Mike Kirsch vom Verdi-Bezirk Rheinland-Pfalz und Saarland im Gespräch mit jW. Die Gewerkschaft fordert unter anderem ein Verbot von Subunternehmen und Werkverträgen in der Kurier-, Express- und Paketbranche. Bei Versandhändlern wie Amazon, Hermes oder DPD sind sie aber bislang üblich. Mit welchen Folgen, zeigt ein weiterer Todesfall, der am Donnerstag bekanntgeworden war. In Großbritannien starb der DPD-Kurrier Warren Norton nach sieben Tagen Arbeit in seinem Wagen auf dem Parkplatz des DPD-Lagers im englischen Dartford.
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