Bellizisten mit Verlustangst
Von Kristian Stemmler
Die Bundeswehr soll mehr Gewicht auf die »Bündnis- und Landesverteidigung« legen, die Auslandseinsätze der Truppe sollen dafür zurückgefahren werden: Die neuen »operativen Leitlinien« für die hiesigen Streitkräfte stoßen bei Bellizisten von der FDP, Bündnis 90/Die Grünen und der CDU auf klare Ablehnung. Die Interessen des deutschen Kapitals sollen offenbar auch künftig weltweit militärisch abgesichert werden. Es sei zwar »zweifelsohne richtig«, dass die »Bündnis- und Landesverteidigung jetzt eine größere Rolle spielt«, erklärte Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestags, laut Bericht vom Dienstag abend gegenüber dem Spiegel. Ein »frommer Wunsch« sei dagegen, dass sich die BRD gänzlich aus Auslandseinsätzen zurückziehe.
Gegen ein strategisches Entweder-Oder sprach sich am gleichen Ort auch Sara Nanni, Obfrau für Bündnis 90/Die Grünen im Verteidigungsausschuss, aus. Die »Herausforderungen« der Landes- und Bündnisverteidigung kämen »zusätzlich zum internationalen Engagement, nicht statt dessen«, sagte sie dem Blatt. Die BRD könne sich nicht einfach »aus dem internationalen Krisenmanagement abmelden«, warnte Unionsfraktionsvize Johann Wadephul (CDU) dem Bericht zufolge. Deutschland werde »in vielen Krisenregionen gebraucht«. Die »Leitlinien« hatte Generalinspekteur Eberhard Zorn formuliert und intern Ende September vorgelegt. Der Spiegel wiederum hatte am Montag Auszüge daraus veröffentlicht und als einen »grundlegenden Strategiewechsel« infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine gewertet.
Tatsächlich aber formulierte Zorn nur explizit, was bereits seit Monaten und Jahren die Leitlinie ist: Es geht gegen Russland. Dieses sei »die größte Bedrohung für das Bündnis und den Frieden in Europa«, heißt es in dem Papier. Jürgen Wagner von der Informationsstelle Militarisierung (IMI) wies am Dienstag auf der Internetseite der Organisation darauf hin, dass die Ausrichtung auf einen Großmachtkonflikt mit Russland bereits mit dem sogenannten Weißbuch 2016 eingeleitet worden sei. Die neuen vom Generalinspekteur formulierten Leitlinien dürften Wagner zufolge diesen Strategiewechsel lediglich »weiter akzentuieren«. Gegen die russophobe Ausrichtung des Papiers kam erwartungsgemäß weder von der FDP noch von Grünen und CDU Widerspruch.
Die »rund drei Jahrzehnte andauernde Fokussierung auf Auslandseinsätze« werde der aktuellen Lage mit ihren »systemgefährdenden Überraschungen« nicht mehr gerecht, urteilte Zorn in den »Leitlinien«. Statt dessen werde »die Bündnisverteidigung, einschließlich der Fähigkeit zu sichtbarer und glaubwürdiger Abschreckung, das militärische Handeln Deutschlands dominieren«. Ein Konflikt mit Russland werde wahrscheinlicher, daher müsse sich die Bundeswehr »für einen aufgezwungenen Krieg« wappnen, schrieb der Generalinspekteur.
»Angriffe auf Deutschland können potentiell ohne Vorwarnung und mit großer, gegebenenfalls sogar existentieller, Schadenswirkung erfolgen«, wusste der General zu berichten. Die Verteidigungsfähigkeit und Einsatzbereitschaft der Bundeswehr seien »überlebenswichtig« für das ganze Land. In dem Papier sei das Wort »Abschreckung« omnipräsent, berichtete der Spiegel. »An einem hochintensiven Szenario ausgerichtete und ausgebildete Streitkräfte bilden das Rückgrat dieser Abschreckung«, heißt es weiter. Es reiche nicht mehr, kleinere, spezialisierte Einheiten in Auslandsmissionen zu schicken. Statt dessen müsse man für die NATO-Kriegsallianz jederzeit einsatz- und kampfbereite Großverbände bereithalten.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (16. November 2022 um 22:36 Uhr)Endlich sagt es mal einer! Was vor 40 Jahren jeder Depp aus der Friedensbewegung wusste, weiß inzwischen sogar ein General. Was der General aber immer noch nicht weiß: Wenn man mit Russland auf Augenhöhe und mit Respekt umgeht, dann wird selbiges hierzulande auch keine existentielle Schadenswirkung hinterlassen. Zweckmäßige Maßnahmen: Ramstein und EUCOM schließen, Büchel dicht machen, keine F35 oder Eurofighter kaufen, Gepard-Munition in der Schweiz lassen. Liste leicht verlängerbar.
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