Was man Pop nennt
Von Peter Merg
Seine Begeisterung war ansteckend. Wenn Kristof Schreuf anrief, spürte man durch den Hörer, wie sehr er für sein jeweiliges Anliegen brannte. Man konnte sich dieser Freude kaum entziehen, war sie doch gepaart mit einer besonderen Sensibilität, die den Künstler verriet. Naturgemäß ging es dabei meist um Popmusik. Der 1963 in Frankfurt am Main geborene Schreuf hatte nämlich, Mitte zwanzig, zwischen 1988 und 1991 als Sänger und Texter von Kolossale Jugend maßgebliche Impulse für das gegeben, was später mal Hamburger Schule heißen sollte. Für jemanden wie mich, der gerade geboren war, als Schreuf und Co. ihre Band gründeten, war das wie mit Syd Barrett zu telefonieren.
Als ich das erste Mal von ihm las, hatte er gerade »Bourgeois with Guitar« (2010) veröffentlicht, sein ausgezeichnetes Soloalbum voller Klassiker-Verneigungen, das den beiden Kolossale-Jugend-LPs »Heile Heile Boches« (1989) und »Leopard 2« (1990, beide wiederveröffentlicht 2004) höchstens in der Langzeitwirkung etwas nachsteht. Dass er nicht nur Songs schreiben konnte, bewies Schreuf 2003 auf großer Bühne, als er beim Ingeborg-Bachmann-Preis las, was ihm neben einiger Aufmerksamkeit auch einen Vertrag mit Suhrkamp einbrachte. (Der Roman »Anfänger im Rocken« sollte sein »Smile« werden.)
Leser der linken Musikpresse von Spex bis junge Welt waren bereits früher im Bilde. Mehr als 20 Jahre lang schrieb Schreuf unregelmäßig, aber ausdauernd fürs jW-Feuilleton, stets über das weite Spektrum dessen, was man Pop nennt: Mit Serien wie den »Nachrichten von gestern« (2009) bewies er sein reichhaltiges kulturelles Wissen, ohne je den Schlaumeier zu spielen, schrieb ebenso über seine innig geliebten Beatles wie über das Raumschiff Enterprise, das Literarische Quartett und die Repräsentation von Schreckensszenarien. Nun ist ein weiteres eingetreten: Am Mittwoch ist Kristof Schreuf im Alter von 59 Jahren überraschend in Berlin gestorben.
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