Mehr als ein Film-Film
Von Kai Köhler
Man sucht ein paar Menschen, denen man vertraut, hält die Kamera drauf und schaut, was sich dann entwickelt. Die Story ist gar nicht so wichtig. Das jedenfalls ist die Vorstellung, die die Schriftstellerin Jun Hee (Lee Hye Yeong) von ihrem ersten Film hat. Zugleich ist diese Idee gar nicht so weit entfernt von dem, was man im mittlerweile 28. Werk des überaus produktiven koreanischen Regisseurs Hong Sang Soo sieht.
Hong vermeidet gewagte Neuansätze. Er hat seinen Stil gefunden und variiert allenfalls Elemente, was die rasche Folge seiner Filme erklärt. Das Figurenensemble bleibt stets überschaubar. Leute treffen sich in Alltagssituationen und sprechen. Das zeigt die Kamera in sehr langen, fast immer ruhigen Einstellungen. Klingt langweilig?
Die Szenen haben Tiefenschärfe. Was im Hintergrund zu sehen ist, kann auch wichtig sein. Eine Gruppe sitzt an einem Tisch, oft im Restaurant, isst oder trinkt – solche Szenen finden sich in jedem Film Hongs. Wer nur auf die Sprecher achtet, verpasst das meiste. Denn wie die anderen sich zu- oder abwenden, wie sie blicken oder Blicke vermeiden, ihre mal mehr, mal minder hilflosen Gesten: Auch das gehört zum Verlauf. Hong dreht Ensemblefilme, in den letzten Jahren oft gebaut um seine Lebensgefährtin Kim Min Hee, die hier, Überraschung!, eine Schauspielerin spielt.
Diese mediale Spieglung ist der eigentliche Schwachpunkt. Im Film wird über das Rezept des Films geredet. Die früher einmal erfolgreiche Schauspielerin Kil Soo (Kim Min Hee) hat sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen – zumindest im moralisch äußerst konservativen Südkorea weiß jeder, der sich fürs Kino interessiert, dass Kim Min Hee ihre Karriere durch die Beziehung zu dem anderweitig verheirateten Regisseur Hong beschädigt hat.
Nur ein Film-Film also? Zugleich – und das ist die Stärke des Werks – handelt es sich um eine Studie darüber, was man sagt und worüber man schweigt. Zu Beginn besucht die Schriftstellerin eine frühere Kollegin, eben jene Jun Hee. Die hat (angeblich) alle Beziehungen zu Künstlerkreisen abgebrochen, betreibt am Rand des Großraums Seoul eine kleine Buchhandlung und ist zur glücklichen Leserin geworden, seit sie nicht mehr kennen muss, worüber man unter Intellektuellen gerade spricht.
Man spürt, der Rückzug hatte Gründe, doch über die wird nicht gesprochen. Später am Tag trifft Jun Hee einen Regisseur, der die Verfilmung eines ihrer Romane nicht durchsetzte, weil die Geldgeber Zweifel hatten. Hier wird wenigstens klar, warum man sich wenig schätzt. Aber sogar bei dieser Gelegenheit schmeichelt man sich gegenseitig. Floskelhafte Versicherungen, wie sehr man sich respektiere und dass man natürlich das je neueste Werk des Gegenübers gelesen habe, durchziehen den Film. Zugleich fehlen substantielle Äußerungen über die Werke.
Die Dialoge, die sich daraus ergeben, sind hochkomisch. Wenn etwa der Regisseur und seine Frau der einst düpierten Schriftstellerin bescheinigen, sie habe Charisma, ergibt sich daraus ein Wechselspiel von Kompliment und Zurückweisung, das nur einem Zweck dient: zu überdecken, dass man sich eigentlich nichts zu sagen hat. Peinlichkeiten können lustig sein; lustiger sind durchschaubare Versuche, Peinlichkeiten zu vermeiden.
Das Unausgesprochene sorgt für durchgehende Spannung. Dass die Auflösung ausbleibt, ist klug. Klar wird, dass die Hauptfiguren künstlerisch an ein Ende gelangt sind; ergänzt werden sie von Nebenfiguren, denen es nicht besser geht. Sogar Jun Hee, die durchgehend Bewunderung erntet, weiß kaum noch weiter. Schreiben kann sie nicht mehr. Der englische Titel »The Novellist’s Film« bezeichnet den Ausweg, den sie sucht. Die deutsche Version »Die Schriftstellerin, ihr Film und ein glücklicher Zufall« klingt allzu umständlich. Zwar trifft der glückliche Zufall ein: Jun Hee trifft ihre Idealschauspielerin Kil Soo, die tatsächlich bei ihrem Vorhaben mitmacht. Auch nähern sich die beiden Frauen an, und das ist mit Liebe fürs Detail gezeigt. Doch zuletzt, bei der Vorführung des fertigen Films, bleibt doch eine Irritation.
So einfach ist Glück nicht zu haben. Hong lässt sich auf die Ambivalenzen seiner Figuren ein und löst sie nicht einfach ins Positive oder Negative auf. Das ist ihm anzurechnen. Um solche Mehrdeutigkeiten zu leben, als gescheiterte Künstlerin zumal, das braucht Geld. Solche Sorgen kennen Hongs Figuren nicht. Ihn interessiert nicht, was ein Leben kostet, bei dem man sich Einfühlsamkeit leisten kann. Das kann man tadeln und zugleich seine einfühlsamen Filme schätzen.
»Die Schriftstellerin, ihr Film und ein glücklicher Zufall«, Regie: Hong Sang Soo, Südkorea 2022, 93 Min., bereits angelaufen
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