Der Knüppel bleibt stecken
Von Ronald Kohl
Regisseurin Johanna Schellhagen hat schon oft erfolgreichen Widerstand aus der Nähe beobachtet. Im Prolog ihres Films erzählt sie von ihrer bisherigen journalistischen Tätigkeit, die sich fast ausschließlich mit Arbeitskämpfen beschäftigte. Womit sie, wenn auch unbeabsichtigt, praktisch schon im ersten Satz den Schwachpunkt ihres Werks benennt. Denn beim Streik geht es im hochentwickelten Kapitalismus immer um Teilhabe am Wohlstand. Arbeitszeitverkürzungen mit Lohnverzicht können nicht im Interesse beitragsfinanzierter Gewerkschaften liegen. Doch auf dieser Seite der Barrikade wird nicht nach Fehlern und Versäumnissen gesucht. Wozu auch? Der Schuldige steht ohnehin fest: der Kapitalismus.
Eine ganze Menge umweltbewusstes akademisches Personal erklärt im ersten Teil des Films, warum die bestehenden Produktionsverhältnisse einen tiefgreifenden Wandel unmöglich machen. Da sind zunächst die Interessen der Mineralölkonzerne. Dass es in Deutschland relativ wenige Scheichs gibt, fällt unter den Tisch. Das ist jedoch nicht weiter schlimm, da das eigentliche Problem im zwanghaften Wachstum verortet wird. Wer nicht wächst, verliert im globalen Wettstreit von China, EU und USA unweigerlich an Boden. Daher auch die nach wie vor exorbitant hohen Subventionen für fossile Energieträger, die um das Vierfache höher liegen als die für erneuerbare Energien. Deren Ausbau stützt sich zudem häufig auf neokoloniale Strukturen. Was gleichbedeutend mit vergifteter Umwelt und Einschüchterung und Vertreibung indigener Bevölkerung ist. Ein wie auch immer gearteter »grüner Kapitalismus«, daran lässt der Film nicht den leisesten Zweifel aufkommen, würde selbst unter günstigsten Umständen nie eine Lösung bedeuten, sondern immer nur ein weiteres Problem.
Doch liegt es nur am Kapitalismus selbst, dass alle bisherigen Aktivitäten der Klimaschutzbewegung so magere Erfolge hervorgebracht haben? Bei dieser Frage geht die Regisseurin den zweiten Schritt und stellt fest, dass nicht nur der Gegner unveränderbar ist, sondern auch der Kampf bislang falsch geführt wurde. Denn ein echtes revolutionäres Potential erkennt sie nur bei denen, deren kollektiver Widerstand das bestehende System relevant schwächen könnte. Es müssten also die für den Kampf gewonnen werden, die nach Feierabend eigentlich keine Kraft mehr dafür haben.
Mittels animierter Sequenzen werden Wege aufgezeigt, wie dies dennoch geschehen und welche Gestalt die neue Gesellschaft dann annehmen könnte. Und auch wenn im Film postuliert wird, dass die Klimabewegung die Mächte, die den Kapitalismus erhalten, überwinden muss, geht der dargestellte Umbruch erstaunlich sanft vonstatten. Es ist ein Mischmasch aus Räterepublik und ökologischer Vernunft. Angesichts der sonst drohenden Katastrophe lassen auch die Bullen mehrheitlich den Knüppel stecken. Und es passiert auch nur in Deutschland. Ob die Revolution auf andere Länder überschwappen kann oder soll, wird nicht thematisiert.
Erstaunlich viele Begriffe, die diese neue Gesellschaft beschreiben, lassen übrigens betagte DDR-Herzen höher schlagen. Es ist von der Vergesellschaftung der Produktion die Rede, die Werbung für Produkte jeder Art verschwindet, und es wird weitestgehend lokal produziert. Eine schöne alte Welt? Hier muss der Rezensent warnend den Zeigefinger heben. Denn nicht alles war gut in der DDR.
Als 1979 die Sowjetunion plötzlich ihre vertraglich garantierte Liefermenge an Rohöl um 200 Millionen Tonnen jährlich reduzierte, brach die große Sparwut aus. Sehr viele Betriebe und Einrichtungen wurden unter anderem dazu verpflichtet, ihren Kraftstoffverbrauch um 20 Prozent zu reduzieren. Alle, die ihren Sprit bis dahin bedenkenlos verballert hatten, konnten mühelos schöne Prämien für die Erreichung der vorgegebenen Kennzahlen einsacken. Die anderen, die schon immer auf dem Spartrip gewesen waren, hatten die Arschkarte gezogen.
Damit soll abschließend nur die Frage gestellt werden, warum der Film nicht wenigstens versucht, ein Modell zu entwickeln, bei dem klimaneutrales Wirtschaften einen handfesten Wettbewerbsvorteil bedeutet. Denn stabile Gemeinschaften, die dauerhaft freiwilligen Verzicht belohnen, hat die Zivilisation in ihrer mehr als zehntausend Jahre alten Geschichte kaum zustande gebracht. Mir jedenfalls fallen nur die Anonymen Alkoholiker ein.
»Der laute Frühling. Gemeinsam aus der Klimakrise«, Regie: Johanna Schellhagen, BRD 2022, 62 Min., bereits angelaufen
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Klaus- Uwe K. ( 7. August 2022 um 10:56 Uhr)Der Artikel ist in sich unlogisch. Stellt der Autor am Anfang richtig fest, dass der »Schuldige ohnehin fest (steht): der Kapitalismus«, vertut er sich am Ende und fordert vom besprochenen Film, »ein Modell zu entwickeln, bei dem klimaneutrales Wirtschaften einen handfesten Wettbewerbsvorteil bedeutet« – also trotzdem die kapitalistische Klammer … Bedauerlich. Somit stellt der Autor nicht nur die Botschaft des Films, sondern auch seine Kritik ins Unlogische.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin ( 6. August 2022 um 17:37 Uhr)Vielleicht hat Roland Kohl nur verwechselt, für welche Zeitung er da gerade schreibt. Für eine marxistische gewiss nicht, denn die kann mit der Vorstellung von einer Welt durchaus etwas anfangen, in der nicht mehr das Geld, sondern die Vernunft regiert. Genau eine solche Welt ist dringend erforderlich, um das Dilemma des Umgangs der Menschen mit der sie umgebenden Natur auflösen zu können. Zumindest kann man das in Ansätzen auch schon bei Marx nachlesen. Auch nicht wenige Erfahrungen, nicht nur von Menschen mit »betagten DDR-Herzen«, deuten durchaus in diese Richtung. Ob sie und der Film von Johanna Schellhagen den Spott von Ronald Kohl verdient haben, wage ich doch sehr zu bezweifeln. Ein Grund mehr für mich, mir diesen Film anzusehen.
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