Bolsonaro im Putschmodus
Von Volker Hermsdorf
In Brasilien wächst die Gefahr eines neuen Militärputsches. Weniger als drei Monate vor der Präsidentschaftswahl am 2. Oktober hat Staatschef Jair Bolsonaro erneut damit gedroht, deren Ergebnis nicht anzuerkennen. Vor 40 ausländischen Diplomaten wiederholte der faschistische Amtsinhaber am Montag (Ortszeit) in der Hauptstadt Brasília seine Angriffe auf das international als verlässlich und sicher geltende elektronische Wahlsystem des Landes. Wie der ehemalige US-Präsident Donald Trump warnt Bolsonaro ohne Belege vor einer »möglichen Manipulation«. Der lateinamerikanische Nachrichtensender Telesur bezeichnete die Aussagen am Dienstag als »Versuch des derzeitigen Präsidenten, die bevorstehenden Wahlen zu sabotieren, bei denen nach Umfragen der linke Kandidat Luiz Inácio Lula da Silva als Favorit gilt«.
In seiner – vom staatlichen Fernsehen übertragenen – einstündigen Rede verwies Bolsonaro auf einen Bericht über angebliche Hackerattacken bei den von ihm gewonnenen Wahlen im Jahr 2018. Die brasilianische Wahlbehörde hatte dazu bereits im August 2021 erklärt, dass die Ermittler der Bundespolizei keine Hinweise auf Betrug entdeckt hätten. Der Leiter der Untersuchung, Victor Neves Feitosa Campos, habe betont, es gebe »keine Hinweise, dass Hacker Stimmen manipuliert, Betrug begangen oder die Integrität der Wahlurnen sabotiert haben«, berichtete Telesur. Trotzdem behauptet Bolsonaro penetrant das Gegenteil. Sollte er die Abstimmung im Oktober nicht gewinnen, liege dies wahrscheinlich daran, dass es Betrug gegeben hätte, erklärte er.
»Eine neue Klasse von Dieben hat sich in unserem Land gebildet«, hatte er bereits in einer von dem brasilianischen Onlineportal Uai am 3. Juni auf Youtube veröffentlichten Rede gesagt. »Sie wollen unsere Freiheit stehlen. Aber wenn es notwendig ist, dann ziehen wir in den Krieg.« Am Montag bestritt er allerdings vor den Diplomaten, einen Putsch anstiften zu wollen. Er werfe lediglich Fragen auf, »weil wir Zeit haben, das Problem mit Beteiligung der Streitkräfte zu lösen«, zitierte die französische Agentur AFP aus seiner Rede.
Die Bemerkung weckt Erinnerungen an finstere Zeiten. Bei weiter sinkenden Umfragewerten setzt Bolsonaro, der vor seiner Politikerkarriere Hauptmann bei den Fallschirmspringern war, zunehmend auf das Militär. Als Präsident vergab der Ultrarechte mehr zivile Posten an Armeeangehörige als jeder andere Staatschef vor ihm seit der Militärdiktatur (1964–1985). Ende Juni kündigte Bolsonaro an, den ehemaligen Verteidigungsminister, Armeegeneral Walter Braga Netto, zu seinem Vizekandidaten bei der Präsidentschaftswahl zu machen. Braga Netto hatte im März vergangenen Jahres gefordert, den mit Unterstützung der CIA durchgeführten Staatsstreich, der am 31. März 1964 die Militärdiktatur errichtete, als »Bewegung« zu feiern, die »die Befriedung des Landes« ermöglicht habe. Damals habe es, inmitten des Kalten Krieges, »eine Bedrohung für den Frieden und die Demokratie« gegeben, so der General. Die Streitkräfte hätten dann »die Verantwortung übernommen, um das Land zu befrieden und die demokratischen Freiheiten zu garantieren, die wir heute genießen«.
Inzwischen gehen immer mehr Länder auf Distanz zu den möglichen Wahlverlierern. Ursprünglich hatte Bolsonaro angekündigt, dass »etwa 150 ausländische Vertreter« bei seiner Rede in Brasília anwesend sein würden. Am Ende waren es dann 40. Der Präsident »erlebte am Montag eine der größten Peinlichkeiten seiner Karriere. Das groß angekündigte Treffen geriet zu einem Fehlschlag von olympischen Ausmaßen«, kommentierte die argentinische Tageszeitung Página 12 am Dienstag. Länder von großer Bedeutung für die brasilianischen Handelsbeziehungen, angefangen bei China und Argentinien, seien gar nicht erst eingeladen worden. Die Botschafter Japans, Chiles, Kolumbiens, des Vereinigten Königreichs, Deutschlands und anderer Länder seien dem Treffen ferngeblieben. Und die wenigen teilnehmenden Diplomaten seien von ihren Regierungen angewiesen worden, »die Thesen Bolsonaros unter keinen Umständen zu bestätigen«.
Sommerabo
Die Tageszeitung junge Welt ist 75 Jahre alt und feiert dies mit dem Sommeraktionsabo. Du kannst 75 Ausgaben für 75 Euro lesen und täglich gut recherchierte Analysen zu tagesaktuellen Themen erhalten. Schenke dir, deinen Freundinnen und Freunden, Genossinnen und Genossen oder Verwandten ein Aktionsabo und unterstütze konsequent linken Journalismus.
-
Leserbrief von Onlineabonnent/in Josie M. aus 38448 Wolfsburg (19. Juli 2022 um 22:05 Uhr)Danke an Volker Hermsdorf für die Erinnerung an jene »finsteren Zeiten« von 1964 bis 1985, die seinerzeit mindestens 20.000 Tote und »Verschwundene« gekostet hatte und die jetzt wieder »gefeiert« werden sollen und wiederholt zu werden drohen.
Dieser Artikel gehört zu folgenden Dossiers:
Ähnliche:
- Ton Molina/REUTERS15.07.2022
»Jetzt geht es um eine breite Mehrheit für Lula«
- REUTERS/Gershon Peaks20.03.2019
Feindliche Übernahme
- Rodolfo Buhrer/REUTERS24.12.2018
Unheil mit Ankündigung
Regio:
Mehr aus: Ausland
-
Washington provoziert erneut
vom 20.07.2022 -
Flammenmeer
vom 20.07.2022 -
Verschärfung an allen Fronten
vom 20.07.2022 -
Repression gegen Linke
vom 20.07.2022 -
Geschenk an Saudi-Arabien
vom 20.07.2022 -
Khan siegt im Punjab
vom 20.07.2022 -
»Die Kurden werden weiter alleine gelassen«
vom 20.07.2022