Deal mit Neuseeland
Von Sebastian Edinger
Nach vierjährigen Verhandlungen haben sich die EU-Kommission und die Regierung Neuseelands am vergangenen Donnerstag auf ein neues Handelsabkommen verständigt. Das teilte die Chefin der Brüsseler Behörde, Ursula von der Leyen, nach einem Treffen mit der neuseeländischen Ministerpräsidentin, Jacinda Ardern, mit. Die EU bringt somit ihre globale Liberalisierungs-, Deregulierungs- und Privatisierungsagenda weiter voran.
Enthalten sind in dem Deal unter anderem eine weitgehende Aufhebung bestehender Zölle sowie der Abbau weiterer als »Handelshemmnisse« deklarierter Regulierungen. Allerdings hat die EU augenscheinlich mehr erreicht als das Gegenüber am Verhandlungstisch: Während Neuseeland seine Zölle auf EU-Produkte komplett aufgibt, gilt umgekehrt bei vielen Produkten – etwa Milcherzeugnissen, Rindfleisch und Zuckermais – Zollfreiheit nur bis zu bestimmten Mengen. Überhaupt liegt bei den präsentierten Liberalisierungsvereinbarungen ein starker Fokus auf landwirtschaftlichen Produkten. Weltmarktorientierte Agrarkonzerne frohlocken, während die auf lokale Vertriebskanäle fokussierte bäuerliche Landwirtschaft weiter unter Druck gerät. Entsprechend deutlich fällt die Kritik aus: »Die aktuellen Herausforderungen zeigen überdeutlich, dass globale Lieferketten nicht widerstandsfähig und zukunftsgerecht sind und zu empfindlichen Versorgungsengpässen führen können«, wurde etwa Berit Thomsen am Donnerstag in einer Pressemitteilung der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) zitiert. Die vertritt vor allem die Interessen kleinerer und mittlerer Betriebe. Kurzum, das Abkommen mit Neuseeland sei »das völlig falsche Signal«, so die Referentin für Milch- und Handelspolitik mit Blick auf den großen Druck, unter dem Milchproduzenten in der EU bereits stehen.
Derweil meinte von der Leyen, durch das Abkommen könne der Handel zwischen der EU und Neuseeland um bis zu 30 Prozent gesteigert werden. Außerdem enthalte es ja ein Nachhaltigkeitskapitel, in dem sich beide Seiten zu internationalen Arbeitsschutzstandards und den Pariser Klimazielen bekennen. Den Beschäftigten und dem Klima nutzt das freilich wenig, wenn der zunehmende Wettbewerb den Druck auf Löhne sowie Arbeitsbedingungen weiter erhöht und durch die zusätzlichen Warentransporte auf dem Seeweg weitere Schadstoffe emittiert werden.
Enthalten ist in dem Abkommen ferner die Vereinbarung, Investoren aus dem jeweils anderen Wirtschaftsblock einen »diskriminierungsfreien Marktzugang« zu gewähren. Das ist weit gefasst und gibt Kapitalanlegern umfassende Möglichkeiten, ihre Profite mittels juristischer Klauseln abzusichern. Darüber hinaus erhalten EU-Konzerne in Neuseeland einen besseren Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen. Auch Maßnahmen zur Liberalisierung des Datenhandels sind vorgesehen. Die Kommission erhofft sich eine Steigerung der Investitionen von Kapitalfraktionen des Staatenkartells in Neuseeland um 80 Prozent.
Zwar jubelt man in Brüssel und den Hauptstädten der Mitgliedstaaten angesichts des Ukraine-Kriegs, das Abkommen komme genau zur richtigen Zeit. Bis es tatsächlich in Kraft tritt, wird jedoch noch eine Weile vergehen. Schließlich muss der Vertragstext zuerst im EU-Parlament und im Anschluss in sämtlichen Mitgliedstaaten ratifiziert werden. Dieser Prozess dürfte rund zwei Jahre in Anspruch nehmen.
Dennoch, die EU hat ihre Agenda zur globalen Handelsliberalisierung nach dem fulminanten Scheitern des mit den USA angedachten TTIP-Abkommens, also der sogenannten Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft, vor fünf Jahren mittlerweile wieder reaktiviert. Beim EU-Kanada-Abkommen CETA konnte zuletzt durch die Verständigung der Ampelkoalition zur Ratifizierung in Deutschland ein wichtiger Schritt gegangen werden. Und die Industrie drängt bereits auf einen schnellen Abschluss der kürzlich wieder aufgenommenen Verhandlungen mit Indien.
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