Die Isolation des Westens
Von Jörg Kronauer
Nichts Geringeres als die großen Krisen der Welt hat die Bundesregierung, die dieses Jahr den Vorsitz der G7 (Group of Seven) innehat, auf die Tagesordnung des Gipfels kommende Woche in Elmau gesetzt. Der Kampf gegen die Klimakrise, das Vorgehen gegen die Covid-19-Pandemie sollen ebenso diskutiert und, soweit das möglich ist, miteinander abgestimmt werden, wie die Reaktion auf den Ukraine-Krieg. Letzteres wird, das darf man vermuten, alle anderen Themen in den Hintergrund drängen, das übrigens auch, weil die G7 nicht allein tagen werden: Sie haben, wie schon zuvor bei ihrem Gipfel im Juni 2021 in Cornwall, mehrere Gäste geladen.
Grundsätzlich stehen die G7 vor einem ernsten Problem: Sie sind längst nicht mehr, was sie lange Zeit waren – nämlich die sieben wirtschaftsstärksten Staaten der Welt. Konnten sie sich einst, so hieß es einmal in einer Analyse der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), als eine Art »Lenkungsausschuss« der Weltpolitik und -wirtschaft gebärden, so gibt das ihre heutige Stärke nicht mehr her. China, Indien und Brasilien haben sich, was die Wirtschaftsleistung angeht, längst zwischen sie geschoben. Weitere Staaten – etwa Südkorea, Indonesien, die Türkei – haben deutlich aufgeholt. Schon während der globalen Finanzkrise 2008 zeigte sich, dass die G7 allein es nicht mehr vermochten, auf globaler Ebene mit Erfolg zu intervenieren, ohne sich insbesondere mit China näher abzustimmen. Die Folge: Die G20 (Group of Twenty) gewann spürbar an Gewicht.
Die G7 haben trotz alledem versucht, auf globaler Ebene weiterhin den Ton anzugeben. Man könne »eine Führungsrolle übernehmen«, indem man dafür sorge, dass sich die G7-Ziele »auf der G20-Agenda« wiederfänden und von den G20-Staaten verabschiedet würden: So hat es der damalige britische Finanzminister George Osborne im Jahr 2013 formuliert. Auch dies allerdings gelingt nicht mehr – und es hat sich selten so deutlich gezeigt wie dieses Jahr. Die G7 versuchen seit Monaten mit aller Macht, Russland aus den G20 auszuschließen, scheitern damit aber: Trotz erheblichen Drucks hat Indonesien, das aktuell den G20-Vorsitz innehat, Russlands Präsident Wladimir Putin zum Gipfel im November auf Bali eingeladen. Das nehmen die G7 freilich nicht umstandslos hin.
Und während sie weiter Druck machen – Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hakte in der vergangenen Woche bei seinem Besuch in Indonesien einmal mehr nach –, setzen sie parallel auf die altbewährte Einbindungsstrategie: Die Bundesregierung hat gleich fünf Staaten, vier davon G20-Mitglieder, nach Elmau eingeladen. Neben Indonesien sind dies Indien, Südafrika, Senegal und Argentinien. Alle vier weigern sich bisher, Sanktionen gegen Russland zu verhängen. Indien ist zu einem der bedeutendsten Käufer russischen Öls aufgestiegen, während Senegals Präsident Macky Sall kürzlich nach Moskau reiste und dort, in seiner Eigenschaft als derzeitiger Vorsitzender der Afrikanischen Union, ganz offiziell die Aufhebung der westlichen Russland-Sanktionen forderte.
Ob es den G7 gelingt, in Elmau die Isolation des Westens in Sachen Russland-Sanktionen zu durchbrechen – immer noch beteiligt sich kein Staat Afrikas und Lateinamerikas und nur eine Handvoll Länder der Asien-Pazifik-Region an ihnen –, das dürfte eine der entscheidenden Fragen des G7-Gipfels in der kommenden Woche sein. Dazu hat Berlin den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij nach Elmau eingeladen. Dass vor kurzem die britische Außenministerin Elizabeth Truss in einer international aufmerksam registrierten Rede gefordert hat, die G7 müssten »als eine Wirtschafts-NATO« auftreten und »unseren Wohlstand kollektiv verteidigen«, das wird die Chancen, die nach Elmau gebetenen Gaststaaten gegen Moskau einzubinden, kaum vergrößert haben.
Die Bundesregierung geht die Sache ein wenig geschickter an. Sie preist die G7 als »wirtschaftsstarke Demokratien« (Olaf Scholz) und verbrämt die Absicht, Verbündete gegen Russland und langfristig auch gegen China zu gewinnen, de facto also die weltweite Dominanz des Westens zu sichern, als vermeintlichen Abwehrkampf von »Demokratien«, darunter die Gaststaaten in Elmau, gegen »Diktaturen«.
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